Und jeder tötet, was er liebt
hatte eben ein Scharren gehört, irgendwo aus dem Buschwerk hinter ihm. Er sah sich um und wartete, doch es blieb still. Wahrscheinlich war es nur ein streunender Kater gewesen. Niemand würde es wagen, ihn hier offen anzugreifen. Er lehnte sich wieder zurück, seine Glieder begannen schwer zu werden, der Atem wurde tief, fast wäre er eingeschlafen. Da, wieder hörte er das Geräusch von eben, aber nun war es viel deutlicher. Und darüber hinaus war da noch etwas anderes. Es klang wie Zweige, die unter dem Gewicht eines Körpers auseinanderbrachen. Da schien sich doch wirklich etwas auf ihn zuzubewegen. War fast beim Betonpfeiler angelangt, an dessen andere Seite er noch immer seinen Rücken lehnte. Diese Geräusche konnten niemals von einer Katze stammen. Lief da etwa ein Mensch auf ihn zu? Olaf Maas sprang auf.
„Sie? Was wollen Sie von mir?“
„Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.“
„Es gibt nichts zu bereden. Sie sind dran, ich werde Sie in den Knast bringen. Verschwinden Sie, hauen Sie ab, Mann!“
Der Schlag traf seine Stirn unvermittelt und mit voller Wucht. Wie ein gefällter Baum landete Olaf Maas schwer auf dem harten Boden. Benommen fühlte er sein Gesicht nass vom Blut werden, aber er konnte seine Arme nicht mehr bewegen, um sich gegen den nächsten Angriff zu schützen. Er konnte nichts tun, als zu hoffen, dass es der andere bei diesem Denkzettel bewenden ließ. Voll Angst blickte Olaf nach oben. Zuerst sah er ein Stück vom Himmel, dann den Baseballschläger. Der prügelte nun zum zweiten Mal auf ihn ein und sollte erst damit aufhören, als so ziemlich jeder Knochen in seinem Leib gebrochen war.
Lukas Weber hatte sich wenig Zeit genommen, um in seinem Hotel in Sankt Petersburg einzuchecken. Es war kein besonderer Platz und auch nicht wert, sich hier länger umzusehen. Leider überstieg es das Budget der Polizeibehörde, die Kosten für ein wirklich gutes Hotel zu übernehmen. Gleich nach seiner Ankunft in der Stadt hatte er Kontakt zu Michael Antonowich aufgenommen. Es war schon sehr spät, als sie in der Bar neben der Eingangshalle zusammensaßen. Der Raum war klein und verraucht, und im Hintergrund dudelte amerikanische Popmusik aus dem vergangenen Jahr. Umgeben von jungen Mädchen und Männern in Anzügen, die vielleicht über den Preis für Liebesdienste verhandelten, versuchten sie ein erstes Gespräch.
„Ich freue mich wirklich, Sie kennenzulernen.“
Weber schüttelte die ihm dargebotene Hand.
„Sie haben uns mit Ihrer Arbeit einen unschätzbaren Dienst erwiesen.“
„Sie kommen nicht aus dem Westen, oder?“
„Warum fragen Sie das?“
Michael Antonowich lächelte. „Weil Sie so gut Russisch sprechen und weil Sie es ohne Arroganz tun.“
„Es gibt überall nette Leute, auch bei uns in Hamburg. Trotzdem, Sie haben recht, ich stamme aus dem Osten, aus Halle an der Saale. Was möchten Sie trinken?“
Michael Antonowich entschied sich für ein tschechisches Bier, ein Budweiser vom Fass. Er nahm einen großen Schluck, und Weber konnte sehen, dass es ihm schmeckte.
„Morgen haben wir einen anstrengenden Tag. Es gibt Formalitäten zu erledigen, bevor Sie Holger Maiwald verhören können.“
„Haben Sie schon mit ihm gesprochen?“
„Er hat sich bisher nicht gerade kooperativ gezeigt. Ich hoffe, wir bekommen brauchbare Informationen aus ihm heraus.“
„Wir werden sehen. Jedenfalls freue ich mich, in Ihrer schönen Stadt zu sein.“
„Vielleicht sollten wir uns die Zeit nehmen, ein bisschen in der Stadt herumzufahren. Ich kann Sie eigentlich nicht nach Deutschland zurückkehren lassen, ohne dass Sie ein paar Eindrücke von Sankt Petersburg mit nach Hause nehmen.“
„Ich bin schon einmal hier gewesen“, entgegnete Lukas Weber. „Aber das ist lange her, ich war damals fast noch ein Kind.“
Michael Antonowich schwieg. Weber betrachtete sein Gegenüber, den sportlichen Körper, die ausdrucksvollen, grünen Augen. Er war ganz sicher der Typ Mann, der bei Frauen Erfolg hatte, stellte der Hamburger Kommissar nicht ohne Neid fest. Doch das Bemerkenswerteste an ihm war nicht seine Schönheit, sondern die Ausstrahlung, die der Russe hatte. Weber konnte ihn sich auch als Dichter oder in einem anderen künstlerischen Beruf vorstellen. Er beobachtete, wie Michael gerade dem Weg eines Wassertropfens an seinem Bierglas mit dem Zeigefinger nachspürte. In dieser Bewegung lag viel Sinnlichkeit. Weber streckte seine Füße aus. Er freute sich, hier zu sein. Von jeher hatte
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