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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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hatte seine leibliche Mutter nie kennengelernt. Dafür hatte er Esther Lüdersen tief und zum Schluss auch uneigennützig geliebt. Da war eine Wärme gewesen, etwas Großes, das man wohl nur für eine Mutter empfinden konnte. Jedenfalls stellte er es sich so vor. Die lähmende Hitze, die im Mai viel zu früh das Hamburger Wetter der letzten Wochen bestimmt hatte, war vergangen. Wie so oft zeigten sich nun Wolken am Himmel, und es fegte ein kräftiger Wind um die Häuser, der den Nieselregen jedoch nicht ganz vertreiben konnte. Das schlechte Wetter störte Olaf nicht. Er war sogar froh über die Abkühlung, so würde die Kistenschlepperei heute erträglich sein. Diese Kommissarin war eigentlich ganz in Ordnung für einen Bullen. Sie hatte im Unterschied zu ihren Kollegen erkannt, dass weder Walter noch ein anderer aus der Szene für den Mord an Esther in Frage kam. Trotzdem würde sie sich schon eine glaubhafte Erklärung einfallen lassen müssen, weshalb sie ihn heute Vormittag versetzt hatte. Olaf Maas überkam ein wohliger Schauer bei dem Gedanken, sie könne sich um ihn sorgen. Er war jetzt auf der Reeperbahn angekommen und ging in einen Hauseingang, um sich dort ungestört eine Zigarette anzünden zu können. Aus seiner geschützten Ecke heraus beobachtete er das Gewimmel auf der Straße. Einander umarmende und Vereinslieder grölende Fußballfans zogen an ihm vorbei. Heute Abend hatten die Kiezkicker ihr Heimspiel gewonnen, und das Viertel drohte im Gewirr der Totenkopffahnen zu ersticken. Olaf Maas ließ dieser Trubel ziemlich kalt. Er interessierte sich nicht für Fußball, trotzdem waren ihm die Anhänger des Kiezklubs wesentlich sympathischer als die Fans des HFC. Das Klischee, wonach die einen als Schmuddelkinder verrufen waren, als jugendliche Subkultur der Stadt eben, während der Traditionsverein HFC die braven Bürger und auch jede Menge rechtes Potenzial um sich herum scharte, wurde durch das bunte Treiben hier auf der Straße bestätigt. Vor diesen Leuten musste sich ein Obdachloser nicht fürchten. Obwohl, ihm konnte egal sein, wer hier herumlief, Olaf Maas war schon lange kein Penner mehr. Er besaß eine eigene Wohnung und eine feste Arbeit, war ein Mann wie alle anderen. Er überlegte kurz, über die Straße zur Davidswache zu gehen und die Kommissarin aus ihrer Ungewissheit zu erlösen. Nein, er würde sich erst morgen früh wieder bei ihr melden, diese Nacht gehörte ihm allein. Jetzt war er in der Lage, den Verantwortlichen für das Verbrechen an Esther zur Rechenschaft zu ziehen. Es war eine kühne Tat gewesen, wie er heute Mittag in das Wespennest hineingestochen hatte. Selbst wenn es sich im Nachhinein vielleicht als Fehler herausstellen sollte, dieser Moment des Triumphes war es ihm wert gewesen. Als er die Angst in der Stimme seines Feindes riechen konnte, hatte er endlich so etwas wie Genugtuung gefühlt. Und das war nur der Anfang.
    Er war schon lange nicht mehr so zufrieden mit sich gewesen wie gerade jetzt im Nieselregen einer alles andere als lauen Hamburger Sommernacht. Olaf schlenderte weiter und fühlte sich beinahe wie der Marlboro-Mann, diese Werbeikone aus den Siebzigern. Scheiße, schlechtes Beispiel, dachte er, der Marlboro-Mann war schließlich viel zu jung an Lungenkrebs krepiert. Außerdem saß der die ganze Zeit rauchend auf einem Pferd und ritt durch die Prärie, während er mit der S-Bahn fuhr oder zu Fuß durch die Großstadt ging. Egal, cool war der schon gewesen. Dass sein Leben konkret bedroht sein könnte, kam Olaf Maas nur kurz in den Sinn. Die Behörden mussten ihn schützen, wenn er seine Informationen erst weitergegeben hatte. Bis zum Prozess würden sie rund um die Uhr auf ihn achtgeben, und später bekäme er vielleicht sogar eine neue Identität. Esther wäre sicher sehr stolz auf ihn gewesen, seine alten Kumpel würden ihm auf die Schulter klopfen. Olaf sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Bis zum Schichtbeginn war noch viel Zeit. Er stand jetzt neben dem Großmarktgelände, pinkelte gegen einen Bretterzaun und starrte auf den riesigen Parkplatz vor seiner Arbeitsstelle. Kein Mensch war zu sehen, die Hallen geschlossen, nicht einmal das Licht brannte. Olaf beschloss, sich im Schatten des Brückenpfeilers in der Ecke, gut geschützt von ein paar Sträuchern, noch etwas auszuruhen. Er zog sich die Jacke aus, legte sie unter sein Hinterteil und machte es sich so gemütlich, wie es nur ging. Dann schloss er die Augen.
    Was war das? Olaf Maas blinzelte müde. Er

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