Und jeder tötet, was er liebt
von Neuem die Schmetterlinge anlockte. Er war immer Esthers Lieblingsstrauch gewesen. Warum hatte sie sich nur so verändert? Seitdem Esther mit dieser Obdachlosengeschichte angefangen hatte, war nichts mehr wie zuvor gewesen. Früher hatte Alfons es genossen, von der Arbeit nach Hause zu kommen und zu wissen, dass sie auf ihn wartete. Später war er es gewesen, der wartete. Warum nur hatte Esther die ganze Welt zu retten versucht, warum war es ihr unmöglich gewesen, sich auf ihrer beider Glück zu beschränken? Sie hatten schon seit Langem keine gemeinsamen Interessen mehr gehabt, kein gemeinsames Leben.
Alfons hätte sie so gern befreit, sie gerettet, so wie früher, als er sie kennenlernte. Damals hatte Esther seine Hilfe gebraucht.
Und warum hatte sich der Teufel noch immer nicht bei ihm gemeldet? Alfons Lüdersen nahm den Telefonhörer ab und rief im Präsidium an.
Das deutsche Generalkonsulat von Sankt Petersburg in der Uliza Furschtatskaja befand sich zwischen dem Litejnyj Prospekt und dem Taurischen Palais im Diplomatenviertel der Stadt. Michael Antonowich machte Weber auf die vielen antiquarischen Buchhandlungen aufmerksam.
„Hier sollten sie einen Blick riskieren.“
„Ich würde mir lieber den Taurischen Palast anschauen“, winkte Weber ab und zog in die andere Richtung davon.
Doch dessen Innenräume konnten nicht besichtigt werden. Weber betrachtete die gelb-weiß gestrichene Fassade des klassizistischen Gebäudes und musste feststellen, dass sich seit seinem letzten Besuch, vor beinahe dreißig Jahren, so gut wie nichts verändert hatte. Kaum vorstellbar, dass in den großzügigen Säulenhallen früher sogar einmal Pferdeställe untergebracht gewesen waren. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als das Palais von außen zu umrunden. Auf ihrem Weg zum Konsulat gingen sie durch den Taurischen Garten, der heute vor allem den Kindern gehörte. Hier gab es Schaukeln, Karussells und Sandkisten, vor allem aber jede Menge Platz zum Spielen auf den grünen Wiesen.
Holger Maiwald hatte, wie es aussah, nichts von seiner überheblichen Haltung verloren. Er wirkte ruhig und gelassen, als man ihn in den Raum zu Weber und Michael Antonowich führte.
„Guten Tag, Herr Maiwald. Sie scheinen vergessen zu haben, dass Sie Hamburg nicht verlassen sollten, deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.“
„Den Weg hätten Sie sich sparen können.“
„Warum haben Sie sich abgesetzt?“
Holger Maiwald tat überrascht. „Da muss ich Sie und die Kleine wohl falsch verstanden haben.“
„Kommen wir zur Sache.“
„Ich hatte dringende Termine hier, mein Aufenthalt in Russland ist rein geschäftlicher Natur.“
„Geschäfte mit Gregor Leskov interessieren immer auch die Polizei“, warf Michael Antonowich ein.
„Das wiederum ist ein rein privater Besuch, ich kenne Leskov aus gemeinsamen Hamburger Tagen. Geschäfte habe ich mit ihm noch nie gemacht.“
„Was genau hat Sie dann überhaupt nach Sankt Petersburg geführt?“
„Ich bin für meine Firma hier, die VIP-Protection. Es geht um die Anwerbung neuer Mitarbeiter. Ehemalige Polizisten wie Sie“, er warf dem Milizoffizier Antonowich einen Blick zu, „die nun nicht mehr bereit sind, für einen Hungerlohn ihren Kopf hinzuhalten. Sie können in Hamburg wesentlich mehr verdienen, und die Arbeit ist auch angenehmer.“ Wieder musterte er Michael Antonowich. „Vielleicht wäre das auch etwas für Sie, wenn Sie gut genug sind.“
Der Angesprochene winkte ab. „Ich glaube, Sie werden sich noch von der Qualität meiner Arbeit überzeugen können. Ich weiß nur nicht, ob sie Ihnen auch gefallen wird. Geben Sie mir die Namen der Personen, mit denen Sie hier verhandelt haben.“
„Zurück zu der Mordsache in Hamburg“, kam Weber nun wieder auf seinen Punkt zu sprechen. „Sie werden verdächtigt, Drahtzieher bei der Entführung und Ermordung Esther Lüdersens gewesen zu sein. Das war Profiarbeit, ausgeführt von bezahlten Killern aus Sankt Petersburg. Einen von ihnen haben wir tot aus dem Harburger Hafenbecken gezogen. Es ist an der Zeit, den Mund aufzumachen, Herr Maiwald.“
„Ich glaube kaum, dass Sie ein Wort Ihrer aufregenden Geschichte beweisen können, oder, Herr Kommissar?“
Holger Maiwald grinste und nahm sich eine Zigarette aus der vor ihm auf dem Tisch liegenden Schachtel.
Michael Antonowich schlug sie ihm blitzschnell aus der Hand. Dann packte er ihn am Revers seiner Jacke. „Niemand hat Ihnen erlaubt, zu rauchen. Glauben Sie mir, wir können hier
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