Und jeder tötet, was er liebt
dann kamen Sie zufällig daher und haben ihm das Kleidungsstück ahnungslos abgekauft“, stellte Weber fest.
„Genau!“
„War es nicht vielmehr so, dass Sie einen Menschen erschlagen haben, um in den Besitz seiner Habseligkeiten zu gelangen?“
Michael Schmidt stockte. „Hab schon viel Mist gebaut, aber ich würde niemals einen umbringen.“
„Jedenfalls ist Ihre Geschichte von dem Unbekannten ausgemachter Blödsinn“, meldete sich Anna Greve zu Wort. „Doch es gibt auch noch eine andere Möglichkeit. Sie könnten Olaf Maas gefunden haben, gewissermaßen über ihn gestolpert sein, als er schon tot war. Dann haben Sie die herumliegende Jacke gesehen und mitgenommen. Oder mussten Sie sie dem Toten ausziehen?“
„Ich habe nichts getan, wirklich nicht!“
Michael Schmidt, der begonnen hatte, wie ein kleiner Junge zu heulen, putzte sich nun geräuschvoll die Nase.
„Bin einfach auf meiner Runde durch die Stadt gewesen. Ich gucke immer in die Container beim Großmarkt, oft ist da was Essbares drin. Ich mache also diesen Container auf und sehe obenauf etwas liegen, eine dunkelgrüne Lederjacke. Ich habe sie anprobiert, und sie passte wie verrückt. Das war’s.“
Lukas Weber beschlich das ungute Gefühl, dass Michael Schmidt, angeregt durch Annas Hypothese, gerade eine andere Version erfunden hatte. „Sie wollen uns weismachen, dass Sie den Toten gar nicht gesehen haben?“
„Genauso ist es gewesen.“
„Und warum sind Sie nicht gleich mit der Wahrheit herausgerückt?“
„Ich wollte nicht sagen, dass ich im Müll nach was Essbarem gesucht habe wie so’n alter Penner.“
Gerade meldete sich Antonia Schenkenbergs Stimme durch die Sprechanlage: „Herr Kuhn bittet Sie in sein Büro.“
Martin Kuhn schien diesmal bester Laune zu sein. Auf dem Tisch stand heute wieder der obligatorische Teller mit Trockenkuchen.
„Wie ich sehe, brauchen Sie nur ein bisschen Druck, damit es läuft“, begann der Dienststellenleiter. „Wie auch immer, das war gute Arbeit, Kollegen. Hat dieser jugendliche Streuner inzwischen gestanden?“
„So weit sind wir noch nicht“, erwiderte Günther Sibelius. „Herr Schmidt hat sich anfangs in Widersprüche verstrickt und uns ein Lügenmärchen aufgetischt. Die Tatsache, dass er im Besitz der Jacke des Toten gewesen ist, belastet ihn schwer. Es bleibt abzuwarten, inwieweit er uns das nachträglich noch plausibel erklären kann. Den Ansatz dazu hat er gerade gemacht.“
„Der Besitz der Jacke ist mehr als ein Indiz. Wer außer dem Mörder würde sie an sich genommen haben?“
Dagegen war eine Menge einzuwenden, und so setzte Anna zu ihrem ersten Versuch an.
„Der Schmidt sieht nicht wie ein kaltblütiger Mörder aus.“
„Das pflegen solche Menschen selten zu tun.“
„Gut, aber wer wäre so dumm, die blutverschmierte Kleidung seines Opfers anzuziehen?“
„Niemand hat behauptet, dass ein Mörder intelligent zu sein hat.“
„Trotzdem, Chef“, hakte Weber nach, „vielleicht sagt der Junge ja auch die Wahrheit. Er behauptet, die Jacke in einem Müllcontainer beim Großmarkt gefunden zu haben.“
„Halten wir uns an die Fakten, Herr Weber. Machen Sie nur so weiter, dann werden wir den Aktendeckel bald schließen können.“
„Was den Fall Maas angeht, mögen Sie vielleicht recht haben“, entgegnete Günther Sibelius. „Aber im Mordfall Lüdersen sind wir noch keinen Schritt weitergekommen.“
„Das wird sich fügen, Sie werden sehen. So, und nun will ich Sie nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten.“
Martin Kuhn stand auf und erklärte die Besprechung für beendet. Die drei Kommissare sahen sich ratlos an. Es hatte keinen Sinn, den Chef in diesem Moment von ihren Thesen überzeugen zu wollen. Das würden die weiteren Ermittlungsergebnisse für sie leisten müssen.
Das wieder aufgenommene Verhör mit Michael Schmidt ergab nichts Neues, doch seine Geschichte war so unglaubwürdig, dass sie schon wieder wahr sein konnte. Weber und Sibelius fuhren mit dem Verdächtigen zum Großmarkt, damit er ihnen den betreffenden Müllbehälter zeigte. Vielleicht bestand sogar noch eine Chance, eventuell vorhandene Spuren zu sichern.
Gedankenverloren saß Anna Greve in ihrem Wagen. Sie war auf dem Weg nach Hause und schon seit einer Weile unterwegs, als sie verwundert bemerkte, dass sie in einem ganz anderen Teil der Stadt gelandet war. Nur einen Steinwurf von Jans Wohnung entfernt. Sie bog in den Tegelsbarg ein und parkte vor seinem Haus. Anna öffnete ihr
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