Und keiner wird dich kennen
»Vielleicht bringe ich ihr den mit«, sagt er. »Wenn ich sie tatsächlich besuche. Mag sie solche kräftigen Weine, wissen Sie das zufällig?«
»Leider nein«, sagt die Frau.
Robert lässt den Wein stehen, verabschiedet sich und geht. Er hat noch viel zu tun. Auf dem Daten-Stick der Tochter waren Bilder eines Urlaubs, sah nach Teneriffa aus. Er will sich die Fotos noch einmal – zum zehnten Mal – anschauen, um sich ihre jetzigen Gesichter einzuprägen und nach weiteren Hinweisen und Ansatzpunkten zu suchen. Außerdem will er heute Abend versuchen, den Mail-Account des Tochterfreundes zu hacken. Und er muss dringend einige Anrufe erledigen, praktischerweise hat er durch seinen Job gute Kontakte zu einigen Telekommunikationsunternehmen. Wenn Lila irgendwo in Deutschland ein Telefon angemeldet hat, weiß er das bis spätestens morgen.
Er sehnt sich so sehr nach ihr.
Das Mädchen mit den Silberringen
Der Regen hat aufgehört, aber an Sonne ist noch nicht zu denken.
»Und, wie war dein erster Schultag?«, fragt Maja ihren kleinen Bruder, der ihr gegenüber verschlafen und mit verstrubbeltem Flachshaar sein Müsli löffelt.
»Ganz okay«, sagt Elias.
Lila lächelt breit und Maja starrt Elias an. Ganz okay? Wow! Sonst kommt auf die Frage, wie es in der Schule war, immer ein sofortiges »Doof«, begleitet von einem mürrischen Frag-nicht-weiter-Blick.
Zum Glück hat Elias gerade sein Müsli fertig, denn sie muss ihn dringend mal wieder durchknuddeln. »Und falls doch jemand mal gemein zu dir ist, dann sagst du ihm, du hast eine fiese große Schwester, die kommt und macht ihn fertig, wenn er nicht aufhört. Okay?«
Das entlockt Elias ein Grinsen. »Okay«, sagt er.
Am Eingang des Gymnasiums trifft Maja auf Ben. Hat der etwa auf sie gewartet? Sie muss zugeben, dass er gut aussieht mit seinen dichten, dunklen Haaren und nachdenklichen Augen. »Na, alles klar?«, begrüßt er sie, und zusammen gehen sie zum Klassenzimmer.
Maja merkt, dass einige andere Schüler sie beobachten – was geht ihnen durch den Kopf? Denken sie, dass zwischen Ben und ihr etwas läuft? Aber so ist es nicht und so wird es auch nicht sein. Soll sie ihm das sagen, damit er sich keine falschen Hoffnungen macht?
Im Unterricht kommt Maja ganz gut mit, in Chemie meldet sie sich ein paarmal und Johanna wirkt beeindruckt. »Bist du a Supahirn, oder wos?«
Mist, als Streberin will sie ungern dastehen. »Nur wenn ich morgens diese komischen silbernen Pillen esse, die meine Mutter mir gibt«, antwortet Maja.
»Kann i von dene auch ein paar hom?«, flüstert Johanna zurück. »Mia schreibm nämlich am Freitag a Klassenarbeit in Geschichte.«
Na wunderbar. Maja hat keine Ahnung, was für ein Stoff gerade dran ist und was sie lernen soll. Aber bestimmt können ihr Johanna und die anderen helfen.
In der Pause quatscht Maja mit ihren neuen Freunden und nimmt sich trotzig auch ein paar Minuten Zeit für Alli. Aber eigentlich hält sie nach dem Mädchen mit den klobigen Silberringen Ausschau. Stella. Keine Ahnung, warum. Doch sie ist nirgends in Sicht. Es ist aber auch ziemlich voll, das totale Gewimmel, so viele neue Gesichter.
»Du kommst allein klar, oder?«, sagte Ben, »Ich geh kurz zum Lehrerzimmer, muss noch was klären.«
»Alles klar, bis später«, sagt Maja und überlegt, ob sie Ben fragen darf, von woher seine Familie stammt – China? Japan? Thailand? Oder ist das zu privat? Wahrscheinlich sagt er dann nur »Deutschland«, und es ist total peinlich, dass sie ihn überhaupt darauf angesprochen hat ...
In Gedanken versunken stellt Maja sich am Kiosk in der Pausenhalle an, um endlich mal das leckere Gebäck zu probieren, nach dem es hier immer riecht. Doch dann pikt sie plötzlich jemand mit dem Finger in den Rücken. »He, du! Vordrängeln ist uncool!«
»Oh, sorry ... ich habe gar nicht gemerkt, dass ich ...«
Als sie sich umdreht, sieht Maja, dass das schwarzhaarige Mädchen hinter ihr steht. O Mann, warum muss ihr das ausgerechnet bei ihr passieren? Maja will einen Schritt zurücktreten, sich hinter ihr einreihen, aber Stella bleibt stehen wie ein Felsen, hinter ihr ist gar kein Platz, außer man drängt sich mit den Ellenbogen durch.
»Red dich nicht raus, das war unter Garantie Absicht«, sagt Stella, und einen Moment lang ist Maja erschrocken ... bis sie merkt, dass Stella gar nicht wirklich sauer ist. Ihre grünen Augen blitzen sie so vergnügt an, dass Maja unwillkürlich zurücklächelt.
»Stimmt – im Kampf um
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