Und keiner wird dich kennen
Sommersprossen einzeln zu küssen.
Sie trinken irgendetwas in diesem Café, Maja bemerkt kaum, was. Sie sieht nur, wie Lorenzo sie anstrahlt, und das Glück kreist in ihren Adern wie ein warmer, leuchtender Strom. Nach einer Weile schlendern sie die labyrinthischen, teppichbelegten Flure des Veranstaltungszentrums entlang – kein Mensch ist zu sehen – und setzen sich an die Wand gelehnt auf den Boden. Sein Arm um ihre Schulter, ihre Hüfte, kein Blatt Papier hätte zwischen sie gepasst.
»Meine schöne Meisterspionin«, murmelt Lorenzo und küsst sie schon wieder. »Hier findet uns keiner. Das hast du prima geplant.«
»Im Sommer können wir uns draußen treffen, in irgendeinem Park«, flüstert Maja zurück. »Aber das wär jetzt zu kühl.«
Lorenzo streicht ihr mit den Fingerspitzen über die Stirn, über die Wange. In seinem Blick liegt eine solche Zärtlichkeit, dass Maja dahinschmilzt. »Sagst du mir eigentlich, wie du jetzt heißt, oder ist das zu geheim?«
Maja zögert. Ja, eigentlich ist das zu geheim, aber sie vertraut ihm. Vertraut ihm vollkommen. »Alissa. Aber für dich möchte ich Maja bleiben, okay?« Es ist so schön, ein paar Stunden lang ihr altes Ich aus dem Schrank holen zu können und sich nicht ständig Sorgen machen zu müssen, dass sie sich verplappern könnte.
Er nickt sofort. »Was gibt es Neues von deinen Freunden, von dieser Stella, von der du mir erzählt hast? Komisches Gefühl, dass die und die anderen dich nur als Alissa kennen ...«
Als sie ihm von Stellas neuester Aktion mit dem Rap-Video erzählt, muss er lachen. Ach, das hat sie vermisst, dieses typische Lorenzo-Lachen. »Allerdings war Stella dagegen, dass ich mich mit dir treffe«, gesteht Maja.
»Hm.« Lorenzo verzieht das Gesicht. »Jetzt ist sie mir gleich nicht mehr so sympathisch. Ich bin nur froh, dass sie dir das Treffen nicht ausreden konnte.«
Es gibt so viel zu erzählen. Eine Stunde vergeht, zwei Stunden. Ein paar Leute kommen vorbei, beachten sie aber nicht. Um diese Uhrzeit laufen hier nur ein paar VHS-Kurse und die Teilnehmer sind mit sich beschäftigt. Niemand stört sie, kein Hausmeister kommt, um sie zu verjagen. Die Unruhe, die Maja spürt, kommt von innen, und sie verstärkt sich, als Lorenzo von dem Keylogger auf seinem Rechner berichtet, dem angeblichen Talentscout und seinem Jobverlust.
»Das alles sind keine Zufälle«, sagt Maja, und schon ist die Angst wieder da, sendet ihre eisigen Fühler durch ihre Seele. »Robert Barsch hat dich überwacht, das ist klar. Du kennst ihn nicht, er ist total besessen!« Waren sie vorsichtig genug? O Gott, waren sie wirklich vorsichtig genug?
»Meinst du wirklich?« Lorenzo scheint nicht recht überzeugt. »Es gibt noch eine andere Erklärung. Ein Mädchen aus der Schule, Natascha – du erinnerst dich doch an Natascha, oder? – ist hinter mir her ... ich habe sie mal an meinem Rechner erwischt, womöglich hat sie mir mit einem Datenstick den Keylogger draufgespielt. Das geht in Sekunden. Und sie könnte auch in der Pizzeria gepetzt haben.«
»Natascha war in deinem Zimmer ?« Maja weiß nicht genau, was sie davon halten soll. »Warum?«
»Ich habe Fotos von ihr gemacht, sie wollte die CD abholen.« Aus irgendeinem Grund scheint Lorenzo über dieses Thema nicht so recht reden zu wollen.
»Aber doch keine erotischen Fotos, oder?«, versucht Maja zu witzeln, doch Lorenzos Schweigen zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. »Du ... ihr habt ... habt ihr ...?«
»Nein, haben wir nicht«, sagt Lorenzo und seufzt tief. »Ich will keine außer dich, das weißt du, oder?«
Maja zwingt sich zu einem Lächeln und Lorenzo zieht sie an sich, hält sie wortlos. Sie kann seinen Herzschlag spüren, so kräftig und regelmäßig, so beruhigend.
»Es wird nicht leicht werden«, flüstert Maja schließlich und spürt, wie Tränen in ihre Augen sickern. »So was wie eine Fernbeziehung, nur schlimmer.«
»Wir schaffen das«, wispert Lorenzo zurück, und einen Moment lang möchte Maja nichts mehr glauben als das.
»Wo übernachtest du eigentlich heute?«, fragt sie ihn, und Lorenzo erzählt, dass er in einer internationalen Jugendherberge in der Nähe des Bahnhofs etwas reserviert hat. »Leider konnte ich nur noch einen Platz im Viererzimmer ergattern. Nein, keine Sorge, ich habe mich nicht unter Lorenzo Jaschke angemeldet, zurzeit heiße ich Enzo Hesse.«
Enzo, der Hesse! Zunächst muss Maja lächeln, dann runzelt sie die Stirn. Der Deckname ist viel zu leicht
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