Und kurz ist unser Leben
hatten inzwischen ergeben, dass eine mögliche Veruntreuung oder
Unterschlagung auf gar keinen Fall einem ihrer erfahrensten,
vertrauenswürdigsten und wertvollsten Mitarbeiter angelastet werden konnte...
blablabla...
Dieser Anruf hatte Morse sehr
interessiert, und er wiederholte jetzt mit einiger Genugtuung seine frühere
Behauptung, dass Frank Harrison durchaus zu einem Mord fähig sein mochte, dass
aber das Fälschen von Bilanzen und die Manipulation von Gewinn- und
Verlustrechnungen nicht zu seinem Charakterbild paßte, entschieden infra
dignitatem war.
«Wäre es eventuell möglich,
dass Sie sich geirrt haben könnten, Sir?»
«Bestimmt nicht. Er kommt
zurück, darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel. Er hat keine Möglichkeit, sich
zu verstecken. Nicht vor mir jedenfalls.»
«Glauben Sie, dass er seine
Frau ermordet hat?»
«Nein. Aber er weiß, wer es
war. Sie wissen, wer es war. Nur brauchen wir Beweise. Die Alibis aus
der jüngsten Zeit haben wir alle überprüft, jetzt müssen wir uns die älteren
noch mal ansehen.»
«An wen denken Sie?»
«An wen ich denke?» Morse
erinnerte sich an den Verdacht, den er in seinen Aufzeichnungen geäußert hatte.
«An die einzige Person, die außer Frank Harrison ein hinreichendes Motiv für
den Mord an Yvonne hatte.»
«Sie meinen...»
«Besuchen Sie hin und wieder
ein Lichtspieltheater?»
«Ob ich ins Kino gehe, meinen
Sie...»
«Ich war vor etwas über einem
Jahr in The Full Monty.»
«Das war bestimmt nichts für
Sie, Sir.»
«Es war genau das Richtige für
mich. Ich habe gelacht und geweint.»
«Ach so.» Der Groschen war
gefallen. «Simon Harrison hat gesagt, er war...»
« Gesagt , sehr
richtig...»
«Er hat gesagt, dass er in
Begleitung war, nicht? In Begleitung einer Freundin.»
«Was, soweit ich sehe, nicht
überprüft wurde.»
«Verständlich. An ein
Familienmitglied hatte man damals nicht...»
«O doch. Frank Harrison gehörte
zu den ersten Verdächtigen.»
«Aber wegen der Hinweise auf
einen Einbruch, des eingeschlagenen Fensters, der Alarmanlage...»
Morse nickte. «Zunächst deutete
alles auf einen Job von außen hin. Erst allmählich kristallisierte sich etwas
anderes heraus: ein Liebhaber, ein Rendezvous, eine abartige Sexnummer, ein
Streit, ein Mord...»
«Und jetzt, sagen Sie, kommen
wir zurück auf die Familie.»
«Offenbar hat niemand die junge
Dame vernommen, mit der Simon Harrison an dem Abend im Kino war.»
«Vielleicht könnte man sie noch
ausfindig machen, Sir?»
«Ja.»
«Es ist lange her. Sie wird
sich nicht mehr erinnern...»
«Natürlich erinnert sich sie
noch. Der Mord war der Aufmacher in allen Zeitungen — und sie war an dem Abend,
als es geschah, mit dem Sohn der Ermordeten im Kino. So was vergisst man
nicht.»
«Trotzdem, es ist lange her...»
«Ich esse nicht sehr viel,
Lewis, wie Sie wissen. Aber wenn ich mir was koche...»
Lewis zog die Augenbrauen hoch.
«...wärme ich immer den Teller
an. Ich kann es nicht ausstehen, von einem kalten Teller zu essen.»
«Sie meinen, wir könnten den
Teller wieder aufwärmen?»
«Schon geschehen. Sie ist
stolze Ehefrau und Mutter und wohnt in Witney.»
«Woher wissen Sie das?»
«Sie können nicht alles selber
machen, Lewis.»
«Dixon?»
«Guter Mann, Dixon. Und deshalb
werden wir heute Abend zu ihr fahren, nur Sie und ich.»
«Sie glauben, dass Simon seine
Mutter umgebracht hat.»
«Daran besteht kein Zweifel.
Jetzt nicht mehr, Lewis», sagte Morse leise.
«Nur weil er sie mit einem Mann
im Bett erwischt hat?»
«Mit Barron, Lewis.»
Noch nie war es Lewis so schwer
gefallen, Morse eine Frage zu stellen.
«Hat... hat Mrs. Harrison Ihnen
mal erzählt, dass sie mit Barron zusammen war?»
Morse zögerte. Zögerte viel zu
lange.
«Nein. Nein, das hat sie mir
nie erzählt.»
Lewis wartete eine Weile,
wählte seine Worte mit Bedacht und sagte dann langsam: «Wären Sie, wenn sie es
Ihnen erzählt hätte, so eifersüchtig wie Simon Harrison gewesen?»
Morse zögerte erneut.
«Eifersucht ist ein unheimlich zersetzendes Gefühl. Meiner Meinung nach das
stärkste Motiv für einen Mord, stärker als...»
Wieder läutete das Telefon, und
Morse hob ab.
Kershaw.
«Sie sind gleich über dem
Kanal, Sir. Kann ich sonst noch was für Sie tun?»
«Ja. Trinken Sie ein Bier. Aber
nur eins. Und dann ab nach Hause.»
Morse legte auf.
«Guter Mann, Kershaw. Ein
bisschen wie eine alte Jungfer. Erinnert mich an meine Tante Gladys in Alnwick,
meine letzte überlebende
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