Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
äh...?»
    Der Selfmademan aus South
Carolina nickte. «Ich glaube Ihnen zusichern zu können, dass wir diesen Betrag
— äh — ziemlich mühelos erreichen werden, stimmt’s, Schatz?»
    Er hatte die brillantfunkelnde
linke Hand seiner Frau in die seine genommen und gelächelt. Sehr lieb
gelächelt, fand Harrison.
    Auch er, Frank Harrison, hatte
gelächelt — sehr lieb, wie er hoffte — und dabei im Kopf die mutmaßliche
Provision für den neuen Kunden überschlagen.
    Fast musste er auch jetzt
wieder lächeln, als er vor der U-Bahn-Station Sloane Square stehen blieb, sich
den Evening Standard kaufte, blätterte, sehr schnell die einzige Meldung
fand, die ihn zu interessieren schien, den kurzen Artikel überflog und die
Zeitung im nächstbesten Papierkorb verschwinden ließ. Hätte er sich für
Pferderennen interessiert, hätte er womöglich zur Kenntnis genommen, dass
Carolina Cutie in dem Rennen um 16 Uhr 30 im Kempton Park lief. Doch es war
lange her, seit er einen Buchmacher in Lohn und Brot gesetzt hatte. Stattdessen
verbrachte er jetzt viele Stunden seines Arbeitstages damit, auf dem Monitor
seines Bürocomputers die Chancen zu studieren, die ihm die Börsen von London, New
York und Tokio boten.
    Was sehr viel risikoloser war.
    Und in letzter Zeit hatte er in
der Vermögensverwaltung seiner Kunden eine recht glückliche Hand gehabt.
    Und die Provisionen waren sehr
ordentlich.
    Er schloss die Wohnungstür auf,
tippte den Code der Alarmanlage ein und ging in die Küche, wo er sich einen
großen Gin mit viel Eis und sehr wenig Tonic genehmigte. Er hatte nie
Alkoholprobleme gehabt. Im Gegensatz zu seiner Frau. Seiner ermordeten Frau.
    Lauren hatte versprochen, gegen
sechs hier zu sein, und sie hatte sich noch nie verspätet. Er würde ein Taxi
bestellen... oder vielleicht würden sie erst noch eine Stunde im Bett
verbringen, obgleich er, wenn er ehrlich war, ihre sexuellen Reize nicht mehr
ganz so unwiderstehlich fand wie noch vor ein paar Monaten. Die Leidenschaft
hatte sich abgekühlt. Wie meist. Und zwar auf beiden Seiten. Auch mit Yvonne
war es so gewesen, mit der er — besonders in den ersten Ehemonaten — höchste
Liebeswonnen erlebt hatte. Doch schon in jenen glücklichen Tagen war er ihr immer
wieder untreu gewesen, war in vielen Nächten mit quälenden Gewissensbissen
aufgewacht, bis er — ja, eine Entdeckung gemacht hatte, die sie betraf. Und bis
er sich in eine Frau verliebt hatte, die praktischerweise ganz in seiner Nähe
in Lower Swinstead wohnte.
    Zehn vor sechs klingelte es.
Zehn Minuten vor der Zeit. Ein gutes Zeichen. Er war jetzt sexuell auf sie
eingestellt, kippte den letzten Schluck seines zweiten Drinks und ging zur Tür.
    «Du bist wieder in der
Zeitung», platzte sie fast vorwurfsvoll heraus und hielt ihm, kaum dass sich
die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, die Seite des Evening Standard unter die Nase.
    «Ach ja?»
    Zum zweiten Mal sah Harrison
die Schlagzeile NEUE SPUR IN ALTEM MORDFALL und tat so, als läse er den ganzen
Artikel.
    «Na?», fragte sie.
    «Was soll das heißen?»
    «Was hast du mir zu sagen?»
    «Ich gehe mit dir essen und
dann nach oben ins Bett — oder vielleicht umgekehrt.»
    «Du weißt genau, was ich
meine.»
    «Wovon redest du?»
    «Du sollst mir endlich
erzählen, was passiert ist. Du hast nie darüber gesprochen. Nicht mit mir. Und
ich will es wissen.» Ihre Oberlippe zuckte. «Vor allem sollten wir deshalb...»
    «Sollten wir was?», fragte er
mit scharfer, fremder Stimme. «Hör zu, mein Schatz. Wenn du anfängst, mir
Vorschriften zu machen, sind wir fertig miteinander, ist das klar? Und wenn du
die Botschaft nicht laut und klar empfängst» — paradoxerweise sank dabei seine
Stimme zu einem Flüstern herab — «ist es besser, wenn du dich davonmachst und
vergisst, dass wir uns je kannten.»
    Ihre Augen waren ganz trocken.
«Das kann ich nicht, Frank. Aber ich kann — wie hast du es formuliert? — ich
kann mich davonmachen.»
    Ganz ruhig entriegelte sie die
Tür, die leise hinter ihr ins Schloss fiel.
     
     
     

Kapitel
9
     
    Er
schaute mich mit Augen an,
    Die
mich wie keine and’ren dünkten.
    (A. E. Housman, More Poems, XLI)
     
    Am Tag zuvor, dem Donnerstag,
hatte Barbara Dean, wie stets adrett in makellos gebügelter weißer Bluse, die
Post für ihren Chef geholt. Im Gehen hatte sie gewohnheitsmäßig die elf
Umschläge durchgeblättert, die sie in der linken Hand hielt, und bei einem
innegehalten. In übergroßen Druckbuchstaben prangte

Weitere Kostenlose Bücher