Und kurz ist unser Leben
Warten.
(Jiddisches
Sprichwort)
Mit wachsender Ungeduld und
wachsender Unruhe, eine Zigarette an der anderen anzündend, eine Tasse Nescafé
nach der anderen trinkend, sah Deborah Richardson alle paar Minuten ab halb
elf, alle paar Minuten ab halb zwölf und praktisch ununterbrochen ab zwölf im
Vorderzimmer aus dem Fenster. Dabei war sie zunächst noch von jener seltsam
beglückenden Erwartung erfüllt, die Jane Austen bereit gewesen wäre, gegen das
Glück selbst einzutauschen. Debbie hatte zwar noch nie etwas von Jane Austen
gelesen, immerhin aber von ihr gehört, zuletzt erst durch den angejahrten
Oxford-Professor (achtundfünfzig ist doch echt angejahrt — oder?), mit dem sie
die Nacht im Cotswold Hotel in Burford verbracht hatte.
Nun war das mit der freudigen
Erwartung allerdings so eine Sache. Für die zu erwartende körperliche
Vereinigung mit ihrem wieder in Freiheit befindlichen Lebensgefährten galt sie
schon mal nicht. Dass er die Finger nicht von ihr hatte lassen können, war zwar
irgendwie befriedigend, aber sie hatte den Verdacht, dass er nicht so sehr Spaß
am Sex mit ihr als Spaß am Sex an sich hatte. Und dass sie vielleicht deshalb
nur selten jene «intercruralen Effusionen» verspürte, von denen sie mal in
einer Frauenzeitschrift gelesen hatte.
Auch dem regelmäßigen Kochen
und Waschen und Bügeln, das in den Jahren vor seiner Verhaftung ihre ganze Zeit
verschlungen hatte, sah sie nicht gerade mit freudiger Erwartung entgegen.
Ebensowenig wie seinen Essgewohnheiten, besonders während des Frühstücks, das
er, mit vollem Munde redend, mit ebenso platten wie schlecht formulierten
Bemerkungen zu den Artikeln in der Sun zu würzen pflegte.
Und auf gar keinen Fall würde
sie dulden, dass er sich mit seinen kriminellen Geschäften in der tristen
kleinen Doppelhaushälfte, die er vor drei Jahren während der Baisse auf dem
Immobilienmarkt zu einem Schleuderpreis erworben hatte, noch einmal so breit
machte. Von Anfang an hatte er dort ständig jeden erreichbaren Quadratmeter mit
Gin- und Whiskykisten, Zigarettenstangen, Autoradios, Videorecordern, Kameras,
Computern und Hi-Fi-Geräten vollgestellt. Nein! Mit diesen Hehlergeschichten
musste Schluss sein, wahrscheinlich war das Risiko, noch mal persönlich an
einem Bruch teilzunehmen, auch Harry jetzt zu groß. Dass er sich in dieser
Richtung betätigt hatte, war Debbie bekannt, auch wenn die Polizei es offenbar
nicht gewusst hatte — oder vielleicht hatte man dort nur nicht genug Beweise
für eine Anklage gehabt. Harry selbst hatte sich geweigert, mit der Wahrheit
herauszurücken. Als strafentlastend hatte er nur ein Argument vorgebracht: Er
hätte die Herkunft der von ihm erworbenen Gegenstände vielleicht erfahren
können, wenn er gefragt hätte, aber er hatte eben nicht gefragt. Er kannte ein
paar Leute, die Wert darauf legten, billiger an gewisse Sachen ranzukommen. Wer
im Dutyfree Shop kauft, hat ja schließlich auch nichts anderes im Sinn. Wir
sind doch alle im Grunde unseres Herzens Schnäppchenjäger...
So weit also der Stand der
Dinge. Warum aber drückte sie sich dann immer noch am Fenster herum und blickte
nach rechts und links die stille Straße hinunter? Sehr einfach: Weil sie einen
Mann um sich haben wollte. Ohne Harry kam sie sich isoliert, allein, nicht
angenommen vor. Nachdem sie ihn verloren hatte, gab es keinen, mit dem sie
quatschen, über den sie mit anderen quatschen, den sie anmotzen, mit dem sie
sich zoffen, den sie sitzen lassen konnte — denn einen Mann, der nicht da war,
konnte man schlechterdings nicht sitzen lassen.
Wo blieb er bloß? Was war
passiert?
Nun war es nicht so, dass sie
als Strohwitwe ein völlig männerloses Dasein gefristet hätte. Da war dieses
nette kleine Techtelmechtel mit dem jungen Maurer, der ihr einen kleinen Raum
hinter der Küche ausbaute. Und die zivilisierte kleine Affäre mit dem so
anspruchslosen, so dankbaren Oxford-Professor, den sie in einem Pub in Burford
kennen gelernt hatte. In beiden Fällen und bei allen Treffen aber war sie sehr,
sehr vorsichtig gewesen.
Nur einmal hatte sie einen
tüchtigen Schuss vor den Bug gekriegt, nachdem sie sich bei Boot’s einen
Heimschwangerschaftstest gekauft hatte und Harry das Ergebnis hatte gestehen
müssen. Er hatte überraschend verständnisvoll reagiert. Wenn sie was Kleines
kriegten, hatte er gesagt, wäre es gut für den Jungen (den Jungen!), Mama und Papa zu haben. Er selbst hatte seine Eltern von Herzen gehasst, seine Mum
allerdings
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