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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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hatte Morse
genau das herausgepickt, was seinem Gedächtnis den entscheidenden Anstoß gab.
Ja, auf der Rückbank hatten Plastiktüten gelegen.
    «Eigentlich schon mehr
Plastiksäcke. Schwarze Plastiksäcke.»
    «Die Dinger, mit denen man zur
Müllhalde fährt?»
    «Möglich. Zum Werkstoffhof,
meinen Sie.»
    «Wo ist der größte Müllplatz
von Oxfordshire?»
    «Oder vielleicht von Oxford?»
Das Gesicht des Sergeant hatte sich erhellt. «Redbridge. Die Leute kommen aus
der ganzen Grafschaft hin, über die A34, dann biegen sie ab...» Lewis
unterbrach sich. «Das können wir vergessen, Sir. Von Bullingdon aus fährt man
auf die A41 und dann geradeaus weiter zur A34, man braucht gar nicht nach
Bicester rein.»
    «Und Sie wissen genau, dass der
Wagen nach Bicester gefahren ist?»
    «Das ist so ziemlich das
Einzige, was ich ganz genau weiß.»
    «Zu schade, dass Sie sich nicht
auf den Wagen konzentriert haben, Lewis.»
    «Ich verstehe gar nicht, wieso
Sie der Wagen so sehr interessiert. Repp saß in dem Bus.»
    «Das haben Sie schon ein paar
Mal gesagt», versetzte Morse milde. «Aber davon wird es nicht richtiger. Repp
saß nicht in dem Bus.»
    «Nicht, als der Bus in Oxford
ankam, das stimmt.»
    «Sie haben ihn verloren.
Glasklar.»
    Lewis leerte sein Glas.
«Stimmt, ich habe ihn verloren. Und eben deshalb brauche ich Hilfe.»
    «Die Wagennummer, meinen Sie?»
    «Das war doch wohl nur ein
Witz...»
    «Keineswegs. Und wenn Sie
meinen, dass sie Ihnen weiterhilft...» Morse holte seinen Füller heraus und
schob das leere Glas über den Tisch. «Ihre Runde. Geben Sie mir Ihr Notizbuch.»
    Eine Minute später las Lewis,
was Morse in seiner kleinen, sauberen Schrift hineingeschrieben hatte:
     
    R456 LJB
     
    Auf seinem Gesicht kämpften
Ungläubigkeit und Verblüffung, während Morse gelassen fortfuhr: «Sie waren
heute früh nicht so ausgeschlafen wie sonst, was? Sie haben weder auf Ihren
Vorder- noch auf Ihren Hintermann geachtet.»
    «Sie — Sie meinen...»
    «Ganz genau. Ich war heute
Morgen unmittelbar hinter Ihnen. Aber als gesetzestreuer Bürger habe ich meinen
Fahrer angewiesen, einen angemessenen Sicherheitsabstand einzuhalten.»
    «Das darf ja nicht wahr sein!
Wieso...?»
    «Sehr einfach: Ich fand — genau
wie Strange —, dass es keine schlechte Idee wäre, unseren Freund Repp im Auge
zu behalten. Also habe ich den Leiter der Strafanstalt, einen alten Bekannten,
angerufen und ihm gesagt, was ich vorhatte. Nicht mehr nötig, meinte er, vor
ein paar Minuten habe ihn Strange angerufen und ihm mitgeteilt, er habe Sie auf
Repp angesetzt. Er solle die ganze Sache vergessen, sagte ich, da sei offenbar
was schief gelaufen. Dann fuhr ich — genau wie Sie — in einem Dienstwagen hin,
parkte auf dem Besucherparkplatz, hörte mir Mahlers Achte an und legte mich auf
die Lauer. Ich hatte eine Thermoskanne mit Kaffee dabei — jawohl, Lewis,
Kaffee! —, und der Rest ist Geschichte.»
    «Sie wollen mich auf den Arm
nehmen.»
    «Aber nein. Wie, zum Teufel,
hätte ich an die Nummer kommen sollen, ohne die verdammte Karre in Augenschein
zu nehmen? Seit wann halten Sie mich für einen Hellseher?»
    Lewis ließ sich diese
erstaunliche neue Entwicklung durch den Kopf gehen, dann sagte er nachdenklich:
«Sie haben den Wagen vor mir gesehen. Sie haben gesehen, wer drin saß und was
drin war...»
    «Schwarze Plastiksäcke, sehr
richtig.»
    «...und Sie haben die
Zulassungsnummer gesehen.»
    «Mit Mühe. Wissen Sie, ich muss
doch bald mal zum Optiker.»
    «Mich haben Sie angeschnauzt,
weil ich immer sage», brummte Lewis.
    Morse legte die rechte Hand
liebevoll um sein Bierglas. «Manchmal wissen Sie meine Hilfe offenbar nicht
hinreichend zu würdigen.»
    «Und Sie wussten, dass der
Wagen zum Busbahnhof Bicester fuhr», sagte Lewis, die Bemerkung seines
Vorgesetzten geflissentlich überhörend. «Die ganze Zeit haben Sie das gewusst.»
    «Ja.»
    «Als ich mir eine Zeitung
kaufen ging, haben Sie gesehen, wie Repp aus dem Bus in den Wagen umgestiegen
ist. Aber statt mir einen Tipp zu geben, haben Sie mich seelenruhig weiter
hinter dem Bus herzockeln lassen. Schöne Hilfe!»
    Morse schwieg eine ganze Weile.
Dann fragte er: «Wie oft war ich heute Vormittag austreten?»
    «Zweimal, seit Sie gekommen
sind.»
    «Alles in allem sechsmal,
Lewis. Und schuld an diesen peinlich häufigen Unterbrechungen ist nicht
ungenügende Beherrschung der Blase, sondern schuld sind die
Entwässerungspillen, die ich neuerdings nehmen

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