Und kurz ist unser Leben
sind.
(Augustine Birell, The Office of Literature)
Am gleichen Tag — es war erst
halb drei — fuhr Lewis auf den kleinen Parkplatz des Maiden’s Arms, dem
aus Cotswold-Stein erbauten einzigen Wirtshaus von Lower Swinstead. Auf einem
Schild am Eingang standen die Öffnungszeiten für Freitag: 12 bis 15 Uhr und 18
Uhr 30 bis 23 Uhr.
An einem Tisch vor dem einzigen
Fenster des kleinen Gastraums saßen zwei bejahrte Dörfler, tranken Bier aus
geradwandigen Pint-Gläsern, rauchten Woodbines und spielten Cribbage. Außer
ihnen war nur noch ein Gast zu sehen, ein blasser junger Mann mit gepierctem
Ohr und fettigem Haar, der eine Münze nach der anderen in einen ungerührten
Spielautomaten steckte. Lewis fragte nach dem Wirt, und der Mann hinter dem
Tresen gab sich als der Gewünschte zu erkennen.
«Was darf’s sein?»
Lewis zückte seinen
Dienstausweis. «Ich würde mich gern mal mit Ihnen unterhalten.»
Tom Biffen war klein und
untersetzt, in dem wettergegerbten, von einem grau melierten Bart eingerahmten
Gesicht standen humorvolle Augen, das linke Ohrläppchen zierte ein Ring. Auf
dem dunkelblauen T-Shirt, das sich über der breiten Brust spannte, prangte der
Schriftzug «The Maidens Arms».
Lewis kam ohne Vorrede sofort
zur Sache. «Sie kennen eine gewisse Deborah Richardson?»
«Debbie? Aber ja. Debbie kennen
alle.» Seine Stimme hatte einen West Country-Tonfall, und die beiden
Kartenspieler hatten offenbar kein Hörproblem. Wenn sich Lewis in diesem Moment
umgedreht hätte, hätte er gesehen, wie beide ein bisschen grinsten und
bestätigend nickten.
«Ihr Lebensgefährte ist heute
früh aus der Haft entlassen worden», fuhr Lewis fort. «Sie kennen Harry Repp?»
«Harry? Aber ja. Harry kennen
alle.» Die Finger der Kartenspieler erstarrten kurz, und das Grinsen hatte sich
verloren.
«Er war heute Vormittag noch
nicht da?»
«Dann hätte ich ihn ja wohl
gesehen.»
«Ich frage nur, weil er sich zu
Hause noch nicht hat blicken lassen, und wir wollen sichergehen, dass ihm
nichts passiert ist.»
«Nimmt wahrscheinlich irgendwo
einen zur Brust. So würd ich das machen.»
«Wie lange sind Sie hier schon
Wirt?»
«Da muss ich überlegen...»
«Im September werden’s sieben
Jahre, Biff», tönte es aus dem Hintergrund.
«Danke, Bert.» Biff wandte sich
wieder Lewis zu und hielt dabei ein liebevoll poliertes Glas ans Licht wie ein
Röntgenarzt die neueste Aufnahme. «Ich weiß schon, Sie wollen was über den Mord
wissen. In der Zeitung stand was drüber, und es interessiert uns alle, keine
Frage. Die größte Sache, die hier herum je passiert ist.»
«Es hat so einiges an Gerüchten
gegeben, nicht? Um Mrs. Harrison, meine ich. Dass sie ganz gern mal
fremdgegangen ist.»
«Aus eigener Erfahrung kann ich
da nichts zu sagen. Und Alf und Bert sind wohl inzwischen jenseits von Gut und
Böse.»
(«Kannst du gar nicht wissen»,
murrte einer der Siebzigjährigen.)
«War sie mal in
Männerbegleitung hier?»
Biff wiegte unentschlossen den
Kopf. «Ab und zu mit Simon, ihrem Sohn. Aber weil der so schwerhörig ist, war’s
ein bisschen langweilig für ihn, vor allem, weil er die sprühenden Bemerkungen
von Stammgästen wie Alf und Bert nicht hören konnte.»
«Er hat nur Coca-Cola
getrunken», ließ sich Alf — oder Bert? — vernehmen.
«Und die Tochter?»
«Sarah? Scharfe Beine hatte
die.»
«Nicht die einzigen scharfen
Stücke bei ihr», kam es sotto voce aus dem Hintergrund.
«Mit einem Freund im
Schlepptau, wie?»
«Manchmal.»
«Und mit der Mum?»
«Oh, nein. Die hätte nur
gestört.»
«Warum?»
«Ein hübsches Mädchen, die
Sarah, aber das, was man so Sexappeal nennt, hatte nur die Mutter. Die hätte
fast alle Gäste haben können, wenn sie ein, zwei Pints intus hatten.»
«Auch ohne ein, zwei Pints»,
bemerkte Bert — oder Alf?
«Haben Sie damals Namen
genannt, wen sie so hatte?»
«Namen? Nee, wie gesagt...»
«Aber es wurde doch bestimmt
darüber gesprochen...»
«Ich hab nie was gehört.» Biff
sah Lewis über die Schulter. «Habt ihr mal was gehört, Jungs?»
«Ich nicht», sagte Bert.
«Ich nicht», sagte Alf.
Für Lewis stand fest, dass alle
drei logen. Und laut Protokoll war die Polizei bei ihren damaligen Ermittlungen
zu dem gleichen Schluss gekommen. Mit Andeutungen, dass Yvonne Harrison nicht
gerade die Hohepriesterin ehelicher Treue gewesen war, hatten die Dorfbewohner
nicht gegeizt, aber wenn es um Namen ging, hielten sie alle miteinander dicht.
«Einen Schluck aufs
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