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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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machte die Tür wieder zu,
und Morse blieb brav auf der Schwelle stehen. Minutenlang. Als sie die Tür
wieder aufmachte, staunte er, dass sie es in dieser relativ langen Zeitspanne
gerade mal geschafft hatte, das weiße Handtuch gegen einen auch nicht viel mehr
Körperfläche bedeckenden knappen weißen Morgenrock einzutauschen.
    Dann saßen sie sich in der
Küche gegenüber.
    «Was zu trinken?»
    «Nein, danke. Damit bin ich
heute schon mehr als bedient.»
    «Ist das gut oder schlecht?»
    «Teils, teils.»
    «Was dagegen, wenn ich was
trinke?»
    «Wenn Sie noch eine Minute
warten könnten...»
    «Geht’s um Harry?»
    «Ja.»
    «Er ist tot.»
    «Er ist ermordet worden»,
bestätigte Morse sachlich.
    Debbie Richardson beugte sich,
auf die Ellbogen gestützt, nach vorn und legte die langen Finger mit den
scharlachroten Nägeln vors Gesicht. Dann stand sie auf und ging zur Spüle, wo
sie die Hände unter dem Kaltwasserhahn zu einer flachen Schale zusammenlegte.
    Während des kurzen Gesprächs am
Küchentisch hatte Morse Gelegenheit gehabt festzustellen, dass Debbie
Richardson die Zeit, die er vor der Tür verbracht hatte, nicht dazu genutzt
hatte, nach einem BH zu suchen. Als sie sich jetzt vorbeugte und das Gesicht
ins Wasser hielt, konstatierte er außerdem, dass sie es auch nicht für nötig
gehalten hatte, nach einem Schlüpfer zu fahnden. Seit seiner ersten und bislang
einzigen Begegnung mit ihr war Morse natürlich klar, dass sie die Männer
bewusst herausforderte, aber im Augenblick dachte er an alles andere als
sinnliche Freuden.
    Er war sich ziemlich sicher,
dass sie, als er geklingelt hatte, im Obergeschoss gewesen war, denn in dem
Zimmer nach vorn heraus hatte jetzt, mit anbrechender Dämmerung, Licht
gebrannt.Trotzdem war sie bemerkenswert schnell zur Tür gekommen. Hatte sie dem
Besucher — wer immer es sein mochte — den Eindruck vermitteln wollen, dass sie
die ganze Zeit unten gewesen war? Merkwürdig... Schließlich konnte es ebenso
gut ein Zeuge Jehovas, einer der nicht weniger gefürchteten Klinkenputzer von
den Mormonen oder ein Spendensammler gewesen sein. Fest stand nur, dass sie
nicht aus der Badewanne gestiegen war, denn um sie war nicht der frische Duft
einer Frau, die gerade Toilette gemacht hat, sondern eher das, was Morse — kein
Experte in diesen Dingen — den Moschusgeruch des Sexuellen genannt hätte.
    Während sie stumm an der Spüle
stand, lauschte er so intensiv wie ein Astronom, der noch den leisesten Piepser
aus dem Weltenraum zu erhaschen hofft. Doch im Haus rührte sich nichts. Darauf,
dass noch jemand im Haus war, deuteten allenfalls die beiden schmutzigen
Weingläser mit der roten Neige hin, die auf dem Abtropfbrett standen, aber
Morse sagte sich, dass Debbie Richardson an diesem Tag Rotwein und Sex
höchstens mit Harry Repp riskiert hätte. Und Harry Repp war bekanntlich
inzwischen aus dem Spiel. Andererseits hätte diese pralle, lüsterne Person, die
sich jetzt das Gesicht abtrocknete und zu Morse umwandte, der Versuchung
vielleicht doch nicht widerstehen können, wenn einer ihrer Verehrer sie aus
irgendeinem Grund heute Abend besucht und sie zu dem Zeitpunkt bereits gewusst
hätte, dass Harry Repp tot war.
    Morse musterte sie fast
unbeteiligt, als sie zum Tisch zurückkam.
    «Soll ich Ihnen jetzt was
einschenken?», fragte er.
    «Nur wenn Sie mitmachen.»
    Morse wirkte erstaunlich
nüchtern, und als er ihr einen Gin und sich einen Whisky einschenkte, gelang es
ihm, das leise Zittern der rechten Hand geschickt zu tarnen.
    So rücksichtsvoll wie möglich
erzählte er ihr fast alles, was sich aus seiner Sicht an diesem Tag zugetragen
hatte, und wies sie auf die Hilfen hin, auf die eine Frau in ihrer Lage
Anspruch hatte — Rat, Zuspruch, psychologische Begleitung...
    Sie schüttelte den Kopf.
Schlaftabletten seien ihr lieber als dieser ganze Zauber, den brauche sie nicht,
sie käme schon zurecht. Sie sei eine unabhängige Frau, die noch nie eine
Schulter zum Ausheulen gebraucht habe. Sie sei schon immer eine Einzelgängerin
gewesen, seit ihrer Teenagerzeit.
    Eine Träne rollte rasch über
ihre rechte Wange, und Morse reichte ihr eins seiner eigenhändig gewaschenen
und gebügelten Taschentücher.
    «Wir sollten Ihren Hausarzt
anrufen, das ist in solchen Fällen üblich.»
    Sie schnäuzte sich geräuschvoll
und wischte über ihre Augen. «Gehen Sie jetzt ruhig, ich bin okay.»
    «Wir werden in Kürze Ihre
Aussage brauchen.»
    «Ist gut.»
    «Sie bleiben hier?»
    Ehe sie

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