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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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angewidert gewesen sein, war es sogar bestimmt — aber ein Mord? Nein.
Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie bis zu ihrem hübschen glatten Hals in
der Sache drinsteckt.
    Und
Simon Harrison? Wir wissen, dass er immer Mutters Liebling war, ein Junge, der
wegen seiner frühen Schwerhörigkeit benachteiligt war, immer ein Mehr an Liebe,
ein Mehr an Verständnis brauchte und beides verständlicherweise bei seiner
Mutter fand. Ich denke mir, dass diese Beziehung für Simon etwas sehr
Kostbares, fast Heiliges war. Ich denke mir auch, dass er keine Ahnung von den
ausgefallenen Neigungen seiner Mutter im sexuellen Bereich hatte. An einem
Abend, dem Abend des Mordes, macht er sich auf, um sie zu besuchen. Warum
nicht? Vielleicht will er nur mal kurz vorbeischauen. Wie seine Schwester
besitzt er einen Haustürschlüssel. Er kommt herein und überrascht das unter
höchst ungewöhnlichen Umständen kopulierende Paar. Er ist (wie seine Schwester)
schockiert und angewidert, gleichzeitig aber auch am Boden zerstört und
zutiefst enttäuscht von dieser Hinterhältigkeit. Man stelle sich vor: Seine Mutter
treibt es mit einem Proleten, einem Maurer aus dem Dorf!
    Was
bedeutet all das nun für uns? Dass wir vor allem so schnell wie möglich das
längst überfällige ausführliche Gespräch mit Frank Harrison führen müssen.
Allerdings nicht zu früh. Unsere Kollegen haben bei ihm nichts erreicht, und
wir, Lewis, laufen hechelnd einer Fährte nach, die inzwischen schon ziemlich
kalt geworden ist.
    5.
Die Sache mit dem Brief, den Sie in der Harrison-Akte gefunden haben. Ich
übernehme, wie ich schon sagte, die volle Verantwortung dafür, dass einige
Gegenstände, die ursprünglich am Tatort des Harrison-Mordes gefunden wurden,
hinterher als verschollen .galten, wie man so schön sagt. Es war peinlich für
mich, mit Ihnen darüber zu sprechen, und ich weiß, dass es Ihnen Ihrerseits
peinlich war...
     
    Das Telefon läutete. Morse
legte den Kugelschreiber aus der Hand und hob ab.
    «Lewis! Was wollen Sie?»
    «Alles in Ordnung mit Ihnen,
Sir?»
    «Ja. Warum fragen Sie?»
    «Es ist nur, dass... Sie kennen
doch die Tierhandlung Ecke South Parade und Middle Way...»
    «Sie wissen genau, Lewis, dass
ich mit Haustieren nichts am Hut habe.»
    «Man kann da auch Sachen für
einen guten Zweck abgeben, man stellt ihnen das Zeug vor die Tür, und sie
verkaufen es...»
    «Jetzt kommen Sie schon zur
Sache!»
    «Raten Sie mal, was eine der
Verkäuferinnen gefunden hat, als sie heute früh zur Arbeit kam.»
    «Ein Paar Handschellen?»
    «Das nicht. Aber ein Paar rote
Turnschuhe. Fast neu. Die Frau hatte in der Oxford Mail etwas über den
Jogger in Burford gelesen und sich gedacht...»
    «Sehr interessant, Lewis.
Wirklich sehr interessant... Ich bin gleich bei Ihnen.»

Kapitel
63
     
    Mit
viel Geschwätz werden sie euch versuchen und mit Lächeln eure Geheimnisse
entlocken.
    (Buch
Jesus Sirach, 13.2)
     
    «Wenn ich es recht bedenke,
Lewis, könnten wir das jetzt alles allein erledigen. Nur wir zwei.»
    «Ohne Dixon?»
    «Ohne Dixon.»
    Lewis lächelte zufrieden,
während er sich den Schlachtplan ansah. Es war ein tüchtiges Stück Arbeit, aber
die Arbeitsteilung schien ihm gerecht. Er selbst hatte zum Beispiel nur ganz
kurz mit Sarah Harrison gesprochen, Morse noch gar nicht mit Simon Harrison.
Beides sollte jetzt zur Vorbereitung eines Gesprächs zwischen Morse, Lewis und
Frank Harrison nachgeholt werden. Mit Harrison, dem Grundstein, dem Eckpfeiler,
dem Dreh- und Angelpunkt, wie Morse doziert hatte, ehe ihm die Synonyme
ausgegangen waren. «Wir können uns durchaus Zeit lassen... das heißt,
vielleicht doch nicht. Am besten gehen wir ihn deshalb sehr direkt, aber nicht
zu scharf an. Gelegentliches Lächeln kann nicht schaden, Lewis. Keine
Aggressivität, keine Feindseligkeit, keine Kampfbereitschaft», hatte Morse
erklärt, ehe ihm auch hier keine Synonyme mehr einfielen.
    Lewis konnte das alles nur
recht sein. Während Morse sich gewöhnlich extrem hohe Ziele steckte auf die
Gefahr hin, die Rekordmarke zu verfehlen, machte Lewis lieber nicht ganz so
große Sprünge in der Hoffnung, zumindest sicher anzukommen.
    Mrs. Gerrard, ehrenamtliche
Mitarbeiterin im Tierschutz-Shop Oxford (Spenden willkommen), Witwe,
Katzennärrin und hellwache Zeugin, wohnte nur wenige hundert Meter von der
Osberton Road entfernt. Sie war wie üblich gegen acht zur South Parade
gegangen, um ihren Daily Telegraph zu kaufen, ehe sie das Geschäft
aufmachte, und da hatte

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