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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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jenem
Montag aber war nur eine Person zum Frühstück erschienen, und der
Restaurantleiter wusste auch noch, welche. «Es war die Dame. Kann sein, dass
Mr. Harrison einen anstrengenden Tag hinter sich hatte.»
    Danach sprach Lewis noch kurz
mit dem für Zimmer 210 zuständigen Zimmermädchen und erfuhr, dass in der Zeit,
die ihn interessierte, das BITTE NICHT STÖREN-Schild an der Tür gehangen hatte.
    «Und das Bett sah aus, als
hätte jede Nacht jemand drin geschlafen?» Lewis versuchte sich an einem viel
sagenden Lächeln.
    «O ja, Sir, ganz sicher.»
    Vielleicht hatte der
Restaurantleiter Recht mit seiner Vermutung, dass die Tage, die Mr. Harrison in
Oxford verbracht hatte, für ihn recht anstrengend gewesen waren.
    Aus dem einen oder anderen
Grund.
     
    Auf dem Rückweg zum Präsidium
machte Morse im Maiden’s Arms Station in der Hoffnung, dort Alf und Bert
vorzufinden. Allerdings war es inzwischen halb drei, wahrscheinlich waren sie
schon weg. Aber nein, er hatte Glück — zumindest zur Hälfte.
    Bert war, wie sich
herausstellte, «nicht so richtig auf dem Damm», und Alf saß allein am Fenster,
hatte nur noch einen kümmerlichen Schluck Bier im Glas und ließ sich von Morse
gern noch einen Pint «zum Abgewöhnen» spendieren.
    «Die letzten fünf Male hat er
nur verloren», sagte Alf vertraulich. «Wahrscheinlich ist ihm das auf den Magen
geschlagen.»
    «Wenn Sie wollen, spiele ich
eine Runde mit Ihnen.»
    Morse hatte sich vorgenommen,
so schnell und beiläufig wie möglich zu verlieren, doch leider waren die Götter
ihm nur allzu hold, und sehr bald hatte er ganz gegen seinen Willen haushoch
gewonnen. Er brauchte das aber keinesfalls zu bedauern, denn Alf hielt seinen
Gegner offenbar für einen begnadeten Spieler. Statt sich wie gewöhnlich in
dieser Situation in muffiges Schweigen zu hüllen, ließ er sich mit
beispielloser Offenheit über das Dorfleben im Allgemeinen und die Harrisons im
Besonderen aus, so dass Morse in zwanzig Minuten mehr über die Einwohner von
Swinstead erfuhr als sämtliche Polizeibeamten vor ihm.
    «War Frank auch mal mit anderen
Frauen hier im Pub?»
    «Nie. Meist war er ja in
London.»
    «Und Simon?»
    «Ja, der ist manchmal
aufgekreuzt, aber er hatte keine feste Freundin. Hoffnungsloser Einzelgänger,
der Junge.»
    «Und Sarah?»
    «Zum Anbeißen war die, aber
jetzt ist es schon ein, zwei Jahre her, dass ich sie gesehen hab. Zuletzt bei
einem Gastauftritt mit ‘ner Popgruppe. Nette Stimme.»
    «Ist sie auch mit Freunden
hergekommen?»
    «Na klar. Die hätte jeden haben
können, den sie wollte.»
    «Und wen hat sie gewollt?»
    Alf lachte leise vor sich hin.
«Mich nicht, und den Bert auch nicht. Aber manch einer hatte mehr Glück.»
    In den alten Augen stand plötzlich
ein mattes Glimmen wie in einem Kohlenfeuer kurz vor dem Verlöschen, und er
nickte vor sich hin, so wie es auch Bert auf der anderen Seite des
Cribbage-Bretts gemacht hätte.
    Unverkennbar neidvoll.
     
    Da in allen Sprechzimmern
Gespräche mit Studenten geführt wurden, die sich auf das Fachgebiet Diabetes
spezialisieren wollten, zog sich Lewis mit Sarah Harrison hinter den Vorhang
der Kabine zurück, in der die Blutproben abgenommen wurden.
    «Haben Sie sich mit Ihrem Vater
getroffen, als er letzte Woche im Randolph wohnte?»
    «Wenn er nach Oxford kommt,
treffen wir uns immer. Diesmal haben wir an einem Abend zusammen gegessen.»
    «Sie verstehen sich also gut
mit ihm?»
    Das Lächeln des Sergeant wurde
nicht erwidert, und die Gegenfrage klang sehr schroff. «Was soll das heißen?»
    «Das weiß ich selber nicht
genau. Chief Inspector Morse hat mir eine Liste mit Fragen mitgegeben... Sie
kennen ihn ja...»
    «Ich bin ihm einmal begegnet.»
    «Er hat mich gefragt, ob ich
Sie fragen könnte... hört sich blöd an, ich weiß...»
    «Was will er wissen?»
    «...wie die Beziehungen
innerhalb Ihrer Familie waren.»
    «Für Simon kann ich nicht
sprechen, den müssen Sie schon selber fragen. Aber für mich persönlich kann ich
sagen, dass ich Mum geliebt habe und dass ich Dad liebe — ohne Unterschied. Es
gibt durchaus Kinder, die beide Elternteile gleich lieb haben.»
    «Hatten Sie nie das Gefühl,
dass Ihre Mutter Simon ein bisschen lieber hatte als Sie? Weil er leicht
behindert war und vielleicht deshalb mehr Zuwendung brauchte?»
    Es gab eine Pause, und Lewis
stellte fest, wie anziehend sie für die jüngeren und älteren Männer im Dorf
gewesen sein musste, wie anziehend sie, wo sie auch auftauchte, immer noch

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