Und manche liebe Schatten steigen auf
vorgeschwebt“, schreibt sie. Und sollte es nicht oft weise sein, wenn der Komponist verschweigt, was ihm vorgeschwebt? Wird nicht mancher im Genuss eines Musikstückes gestört werden können, wenn er etwa den „Wind im Rohr“ nicht herauszuhören vermag und sich dadurch enttäuscht fühlt? In Bezug darauf gehen allerdings die Ansichten weit auseinander, und es ist hier wohl nicht der Ort, darüber zu diskutieren. - Über die Sommernachtstraum-Ouvertüre sind längst die Akten geschlossen, sie ist allgemein als ein ebenso originelles wie vollendetes Kunstwerk anerkannt, und so können wir getrost darauf verzichten, sie eingehend zu würdigen. Selbst Mendelssohns Gegner erkennen willig und freudig die hohe Bedeutung dieses originellen Tongebildes an, welches in der gesamten Musikliteratur als Unikum dasteht, aber sie betonen gerne, dass er sich später nie wieder zu gleicher Höhe aufgeschwungen habe. Obgleich nun, unserer Ansicht nach, manches andere Werk Mendelssohns an sich wohl auf gleicher Höhe steht – nur kann man Kirchenmusik wie etwa sein „Mitten wir im Leben“, ein Violinkonzert, ein Lied, und anderes gar nicht mit einer Ouvertüre vergleichen – so soll doch zugegeben werden, dass Bach größere Kirchenkompositionen, Beethoven gewaltigere Symphonien als Mendelssohn geschrieben hat, während allerdings die Sommernachtstraum-Ouvertüre in ihrer Art ohne Rivalin geblieben ist; aber kann man denjenigen, der schon mit 17 Jahren ein unsterbliches und unantastbares Meisterwerk schrieb, aus dem Grunde geringer achten, weil es ihm nicht vergönnt war, später noch ein Werk zu schreiben, das (wie jenes) in seiner Art ganz ohne Rivalen dasteht? -
Im Jahre 1829 unternahm Mendelssohn die erste Reise nach England. Was er bis dahin geschaffen hatte, war wohl genügend, um ihn in London als Komponisten glänzend einzuführen; denn außer den schon erwähnten Werken brachte er noch zwei Symphonien (in C-moll und D-Dur), eine Ouvertüre in C-Dur und – last not least – die Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“ mit, jenes hochpoetische Tonstück in Ouvertüren-Form von blühender Erfindung, welches die Goetheschen Verse so treffend musikalisch illustriert und seine Eindrucksfähigkeit bis heute bewahrt hat. Über die etwas realistische Art, wie der Komponist die glückliche Fahrt zum Ende führt, lässt sich vielleicht streiten; ich muss wenigstens bekennen, dass sie mir nicht vollkommen sympathisch ist. In einem Konzerte in Argyll Rooms, Ende Mai 1829, erschien Mendelssohn zum ersten Male vor dem Londoner Publikum als Komponist, Klaviervirtuose und Dirigent. Er dirigierte seine C-moll Symphonie, von der die beiden Mittelsätze zur Wiederholung verlangt wurden, und spielte das Konzertstück von Weber. So stark der Applaus auch war, so wurde er dennoch weit übertroffen durch den Beifall, welchen er in einem Konzerte am 24. Juni durch den Vortrag des Beethovenschen Es-Dur Konzertes, und die Vorführung seiner Ouvertüre zum Sommernachtstraum errang. Dieser Erfolg blieb ihm bei all seinem ferneren Auftreten treu, und nach allen diesen wohl erfreulichen aber auch anstrengenden Konzerten suchte er Erholung in einer Reise nach den schottischen Hochlanden. Diesen Reiseeindrücken verdanken wir die Entstehung der Ouvertüre „Die Hebriden“ oder „Die Fingalshöhle“ und der A-moll Symphonie, der sogenannten „schottischen“. Zwar wurden die genannten Werke erst nach Jahren niedergeschrieben, aber Mendelssohn hatte doch die Impulse dazu auf einer Reise empfangen, welche indes noch einen trüben Abschluss finden sollte. Kurz vor dem beabsichtigten Abschied von seinen Londoner Freunden traf ihn das Missgeschick, auf einer Spazierfahrt aus dem Wagen geschleudert und am Knie so schwer verwundet zu werden, dass seine Rückkehr ins elterliche Haus um Monate verschoben werden musste. Dann aber kam er auch mit dem schon erwähnten Liederspiele „Die Heimkehr aus der Fremde“ (zu welchem sein Freund Carl Klingemann ihm den Text geliefert hatte) heim und brachte es seinen Eltern zur Feier der silbernen Hochzeit als Huldigung eines treuen und dankbaren Sohnes dar. Eine Wiederholung des Werkes hat er später niemals gestattet, und zwar in durchaus richtiger Erkenntnis; denn die an sich liebenswürdige und reizende Musik ermangelt, wie auch der Text, des für die Bühne unentbehrlichen dramatischen Elements und ist viel zu intim gehalten, um in größeren Theatern auf die Massen wirken zu können. Das
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