Und morgen am Meer
wir von unserer Beute nicht alles mitnehmen konnten, aber was ging, verstauten wir so gleichmäßig wie möglich in unsere Rucksäcke und schoben die Maschine dann zur Straße zurück. Noch immer ließ sich hier niemand blicken, aber aus der Ferne konnten wir das Brummen herannahender Erntemaschinen vernehmen. Offenbar waren wir gerade rechtzeitig verschwunden.
Lovesong
2. August 1989
Claudius
Ein paar Tage fuhren wir durch die ČSSR , als säße uns nichts und niemand im Nacken. Wir wagten uns in kleine Städte, tankten, kauften Proviant von dem Geld, das Milena eingetauscht hatte. Dann ging es weiter, meist durch ländliche Gegenden, in denen wir kein einziges Polizeifahrzeug zu Gesicht bekamen.
Wir genossen die bergige Landschaft, staunten über die großen Kohleförderräder, die ich so bisher nur in Nordrhein-Westfalen gesehen hatte.
Doch die Quittung für unsere Bummelei folgte prompt, denn auf schönes Sommerwetter folgten Regen und Unwetter.
Es schien, als hätten wir durch unseren Leichtsinn unsere Wetterglückssträhne aufgebraucht. Nachdem es in den vergangenen zwei Tagen immer wieder geregnet hatte, wurde es nun schlagartig kühl. Milena und ich froren um die Wette beim Fahren, und als wieder ein Schauer auf uns niederging, begann ich, nach einer Möglichkeit uns unterzustellen, Ausschau zu halten.
Dummerweise hatten wir noch keine neue Straßenkarte ergattern können, und die veraltete DDR -Straßenkarte war nun endgültig nicht mehr hilfreich. Als wäre die DDR -Führung der Meinung, dass sich ihre Bürger nur in Grenznähe zur ČSSR aufhalten würden, hatten sie den etwas weiteren Teil des Bruderlandes auf der Karte einfach abgeschnitten. Und wir waren nun über den Rand gefallen.
Seit zwei Tagen flogen wir blind und konnten nur an den Wegweisern erkennen, welche Stadt die nächste war. Aber so weit wir auch fuhren, irgendwie schienen diese Ortschaften immer woanders zu sein.
Schließlich wurde das Unwetter richtig stark und die Temperaturen fielen rapide. Glücklicherweise entdeckten wir am Wegrand eine verlassen wirkende Scheune, die zu keinem Gehöft zu gehören schien.
Wie weit waren wir schon? Das Gefühl, dass wir uns hoffnungslos in diesem Land, dessen Sprache wir nicht mal konnten, verirrt hatten, wurde wieder einmal übermächtig. Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Doch ich wollte es Milena nicht zeigen. Ich hatte sie dazu gebracht, ihr Zuhause hinter sich zu lassen. Jetzt durfte ich nicht schlappmachen.
Doch Milena machte sich zunehmend Gedanken. Jedenfalls vermutete ich das, denn sie redete nicht mehr so unbeschwert wie bisher, sondern blickte immer öfter nachdenklich in die Ferne.
In der Scheune konnte uns der Regen immerhin nicht erreichen. Das Stroh, in das wir uns betteten, roch muffig und war sicher schon sehr alt. Das neue Stroh musste erst noch gepresst werden.
Am liebsten hätte Milena ja ein Feuer entzündet, aber ich hielt sie zurück. »Wir wollen doch nicht die Scheune abfackeln, oder?«
Milena schüttelte den Kopf.
»Ich werde dich wärmen«, sagte ich daraufhin, dann richteten wir uns so gut es ging auf dem Stroh ein.
»Früher hatten wir in unserem Dorf auch so eine Scheune«, sagte sie, während sie zum Scheunendach aufschaute. Nicht nur an einer Stelle rieselte das Wasser hindurch, aber wir hatten immerhin eine Stelle gefunden, an der es nicht so schlimm war.
»Manchmal haben wir als Kinder dort gespielt und uns vorgestellt, dass es der Palast eines bösen Zauberers wäre.«
»Warum seid ihr eigentlich nach Berlin gezogen?«
Milena zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich eigentlich gar nicht mehr. Papa sagte irgendwas von Arbeit, mehr nicht. Wir packten unsere Sachen, und da Großvater nicht allein auf dem Dorf wohnen wollte, ist er mitgekommen und hat sich in Berlin eine eigene Wohnung gesucht.«
»Was ist mit deiner Großmutter?«
»Die ist noch vor meiner Geburt gestorben. Opa hat nie wieder geheiratet.«
»Dann hat er sie wirklich geliebt.«
»Oder er wollte nicht noch einmal verletzt werden. Der Tod von Oma soll ihn ziemlich mitgenommen haben, das hat Papa mal erzählt, als er seinen guten Tag hatte.«
»Seinen guten Tag?«
»Einen Tag, an dem er bereit war zu erzählen. Das war nicht immer der Fall. Die meiste Zeit war er sehr in sich gekehrt, redete nicht, sondern las oder starrte vor sich hin. Wenn ich ihn als Kind dann aufmuntern wollte, hat Mirko mich von ihm weggezogen und mit mir gespielt.«
»Auch dein Vater hat nicht wieder
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