Und morgen am Meer
bis ich an der Reihe war. Glücklicherweise sollte es auch einen Arzt geben, der eine eigene Praxis betrieb. Sie beschrieb mir den Weg umständlich, mischte zwischendurch immer tschechische Worte ein, die ich nicht verstand, aber dennoch war ich überzeugt, ihn zu finden. Ich musste ihn finden.
Eine Weile kurvte ich durch die Stadt, verlor zwischendurch die Orientierung und wollte schon anfangen zu heulen, weil die Praxis nicht auftauchen wollte. Hatte mich die alte Frau falsch geschickt?
Doch dann sah ich sie und hätte beinahe jubelnd die Hände hochgerissen. Glücklicherweise fiel mir wieder ein, dass mir das Motorrad das ganz schön übel nehmen würde.
Die Arztpraxis war auf den ersten Blick als solche nicht zu erkennen. Das Haus ähnelte eher einer heruntergekommen Villa, in der ein Gutsherr residierte. Umgeben war sie von einer recht hohen, zur Zierde durchbrochenen Mauer mit sperrangelweit offen stehenden Metallgittern.
Ich stellte das Motorrad vor der Treppe ab und rannte nach oben. Als ich klingelte, sah ich auf dem Schild den Namen Dr. Vačlav Karol.
Erst rührte sich nichts, sodass ich schon Angst bekam, dass niemand zu Hause war. Doch endlich wurde die Tür aufgerissen und eine Frau mit weißer Schürze und Schwesternhaube schleuderte mir irgendwelche tschechischen Worte ins Gesicht.
»Dr. Karol«, sagte ich und deutete auf das Schild. Ob die Schwester Russisch sprach? Ehe ich das ausprobieren konnte, war sie auch schon verschwunden. Ich hörte, wie sie hektisch mit einem Mann redete, dann ließ sich dieser auch schon blicken.
Sein grau meliertes Haar wirkte ein wenig wirr, seine blassblauen Augen wurden von der runden Brille auf seiner Nase noch vergrößert. Er lächelte mich kurz an, fragte etwas auf Tschechisch, das sich wie Russisch anhörte und das ich dennoch nicht verstand.
Aus meiner Erfahrung in den Geschäften, in denen mich Russisch nicht weitergebracht hatte, beschloss ich, ihn auf Englisch anzusprechen.
»Please, doctor, I need your help!«
Der Arzt hob abwehrend die Hände, dann antwortete er mit sehr hartem Akzent: »My english no good. Are you from GDR ? Sind Sie aus DDR ?«
Jetzt sah ich ihn erstaunt an. Der Arzt konnte offenbar Deutsch. Nur wie hatte er mir angesehen, dass ich aus der DDR kam? Egal, jetzt ging es um Claudius.
»Ja, das bin ich. Und leider kann ich kein Tschechisch.«
»Macht nichts«, sagte der Arzt mit Akzent und in einem komischen Singsang, der mich irgendwie an Karel Gott erinnerte. »Was kann ich tun?« Er musterte mich von Kopf bis Fuß, als fragte er sich, was mir wohl fehlen konnte.
»Es geht um meinen Freund«, antwortete ich. »Er hatte heute Morgen hohes Fieber und so einen komischen Husten.«
»Und wo ist er?«
»Noch im Wald.«
Der Arzt hob seine buschigen Brauen. »Im Wald?«
»Wir zelten dort und heute Morgen ist er krank geworden.«
»Können Sie zeigen, wo er ist?«
Ich nickte.
»Wie sind Sie gekommen?«
»Mit dem Motorrad da.«
»Sie stehen lassen, ich fahre. Kommen Sie rein, ich hole Tasche.«
Als ich eintrat, verschwand die Krankenschwester gerade wieder im Sprechzimmer. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah mich um.
Die Arztpraxis schien aus einer anderen Zeit zu stammen. Die Möbel waren uralt – so wie man sie in einer Villa erwarten würde. An den Wänden hingen alte Ölbilder, das Bild eines Parteivorsitzenden fehlte. Dafür gab es Gummibäume und Zimmerpalmen, auf deren Blättern sich der Staub sammelte.
Der Geruch, der in der Luft hing, war durchdringend und erinnerte mich an unsere Polikliniken. Irgendwo klapperte etwas, dann hörte ich, wie Dr. Karol seiner Sprechstundenhilfe irgendwas sagte. Wenig später erschien er mit seinem Arztkoffer in der Tür. »Kommen Sie«, sagte der Arzt und bedeutete mir, in seinen Škoda zu steigen, den er hinter dem Haus abgestellt hatte. Den wollte er durch die schmale Toröffnung im Zaun bekommen?
»Wie ist Ihr Name?«, fragte er mich, als er den Motor anließ und langsam auf das Tor zurollte.
»Milena«, antwortete ich.
»Milena? Das ist tschechischer Name? Ist Mutter oder Vater von hier?«
»Nein, nicht dass ich wüsste. Meine Mutter fand den Namen nur schön.«
»Ist auch schöner Name«, stimmte mir der Arzt zu und im Nu waren wir durch das Tor hindurch. Ohne Kratzer oder verbogenen Spiegel!
Als wir die Straße hinunterfuhren in Richtung Stadtmitte, blickte ich mich nach dem Motorrad um und hoffte, dass es in der Zwischenzeit nicht gestohlen wurde.
Dr. Karol war
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