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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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lieber mit dem Zug fahren.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, da würde uns die Polizei gleich erwischen. Nein, wir sollten über Landstraßen fahren, und das können wir nur hiermit.«
    Beim Abbocken gab die Kette ein leises Knarren von sich. Ich fand es immer wieder erstaunlich, wie schwer diese Maschine sich anfühlte, wenn man sie festhielt, und wie leicht es sich anfühlte, wenn man erst mal mit ihr fuhr.
    »Soll ich?«, fragte Claudius und nahm mir die Maschine ab. Während er sie nach draußen schob, holte ich die beiden Sturzhelme und die Motorradhandschuhe, die Mirko hier ebenfalls gebunkert hatte. Außerdem nahm ich noch eine alte Straßenkarte mit, die auf einem hölzernen Regal lag. Dann verschloss ich die Garagentür wieder und legte den Schlüssel zurück an seinen Platz. Wenn Papa morgens hier ankam, würde er alles so vorfinden, wie er es verlassen hatte, und erst recht glauben, dass Mirko für das Verschwinden der Maschine verantwortlich war.
    »Genau genommen ist das Diebstahl«, gab Claudius zu bedenken, als ich zu ihm zurückkehrte und wir begannen, unsere Rucksäcke an den beiden seitlichen Gepäckträgern zu befestigen.
    »Unter Geschwistern wird nur geliehen, nicht gestohlen«, entgegnete ich, während ich mein Haar gewissenhaft unter den eng anliegenden Helm schob. Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, wie Mirko reagieren würde. Im ersten Moment würde er stinksauer sein und es vielleicht bereuen, dass er sich schützend vor mich gestellt hatte. Dann würde er sich Sorgen machen, das wusste ich. Und wenn ich ihn wiedersah …
    Nein, das stellte ich mir jetzt lieber nicht vor. Wenn ich ihn wiedersah, würde er mir sicher eine scheuern. Aber würde ich ihn wiedersehen? Wenn die Mauer stehen blieb und er nicht die Flucht wagte, würden wir uns nie wiedersehen.
    Als wir unser Gepäck festgebunden hatten, schoben wir das Motorrad noch ein Stück weit die Straße hinunter. Glücklicherweise waren auch hier ein paar Straßenlampen ausgefallen, sodass wir einen Teil der Strecke vollkommen im Dunkeln hinter uns bringen konnten.
    Mir schlug das Herz bis zum Hals.
    Schließlich machten wir vor einer Toreinfahrt halt und zwängten uns in unsere Helme. Claudius zog sich die Motorradhandschuhe über, doch etwas war plötzlich mit ihm, denn seine Bewegungen wurden langsamer.
    »Was ist?«, fragte ich, wobei sich meine Stimme in dem Helm ganz merkwürdig anhörte. Fast so, als würde ich mir die Ohren zuhalten. »Ist dir nicht gut wegen des Sturzes?«
    Claudius schüttelte seinen behelmten Kopf. »Nein, alles in Ordnung, es ist nur … nur so komisch, wieder eine Maschine zu starten.«
    »Kriegst du das hin, oder wollen wir es doch anders versuchen?«, fragte ich, und wieder schüttelte er den Kopf.
    »Ich krieg das hin«, sagte er, als wollte er sich selbst anfeuern, dann bockte er die Maschine ab und stellte den Fuß auf das Anlasserpedal. »Und morgen am Meer?«, fragte er mich.
    Ich nickte. »Und morgen am Meer.«
    Nachdem er es zweimal vergeblich probiert hatte und ich schon daran zweifeln wollte, dass wirklich noch genug Benzin im Tank war, erwachte die Jawa mit einem durchdringenden Röhren zum Leben. Der Auspuff blies eine stinkende Abgaswolke in meine Richtung, doch dann begann der Motor zu blubbern. Claudius drehte den Gashahn dreimal bis zum Anschlag durch, dann stieg er auf und legte den ersten Gang ein.
    Es war so weit! Der Rest der DDR lag vor uns, die ganze ČSSR und Ungarn. Und wenn wir das geschafft hatten, ging es nach Italien! Wenn uns gelang, was wir heute begannen, würden wir schon bald frei sein. Voller Angst, aber auch voller Hoffnung saß ich auf und schmiegte mich an Claudius’ Rücken. Er ließ den Motor noch einmal aufröhren, dann fuhr er an.
    Wir rollten zunächst in Richtung Stadtmitte, gen Süden, vorbei am Palast der Republik, der hell durch die Nacht strahlte. Die Straßen waren verhältnismäßig leer. Ein paar IFA -Laster kamen uns entgegen, einmal auch ein armeegrüner Robur, was mein Herz für einen Moment rasen ließ, doch die Soldaten hinter dem Steuer kümmerten sich nicht um uns. Wir reihten uns zwischen Trabis, Ladas und Wartburgs ein, hin und wieder bekamen wir auch Westautos zu Gesicht, die auf dem Weg zu einem der Grenzübergänge waren. Als wir über eine der vielen Brücken Berlins fuhren, sah ich den Mond im schwarzen Band der Spree schimmern.
    Ich wünschte mir insgeheim, dass Claudius anhalten würde, damit wir bis zum Morgengrauen auf der

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