Und morgen seid ihr tot
freikommen sollte, der wird für den anderen kämpfen.
Der Arzt sieht sich Davids Handschellen an und bittet, sie ein wenig zu lockern. Man hört auf ihn. Dann setzt der Wagen sich in Bewegung, zwei Gefangene, ein Fahrer, zwei bewaffnete Bewacher, alte Männer, die ältesten Taliban, die wir je gesehen haben und sehen werden.
KAPITEL III
DIE SANDBURG
14. JULI BIS 4. SEPTEMBER
Unser neues Zuhause entspricht zumindest teilweise den Versprechungen. Wir nennen es »die Sandburg«, weil es wie ein überdimensioniertes Fort aus Sand wirkt. Eine sieben bis acht Meter hohe Mauer umschließt einen rechteckigen Innenhof, an dessen Längsseite sich ein einstöckiger Bau mit mehreren Räumen befindet. In einem der mittleren Räume werden wir untergebracht, daneben unsere Bewacher. Außerdem umrahmen ein Stall für Kleinvieh und eine Feuerstelle die Freifläche, auf der ein Strauch wächst. Eine Runde im Hof dauert fünfundvierzig Sekunden.
Die Umgebung ist karg, die Sommerhitze steht flirrend über der wüstenähnlichen Landschaft.
Es gibt ab und zu Strom, fließendes Wasser, eine Dusche, eine Hocktoilette, und vor allem bekommen wir ein echtes »Doppelzimmer«. Zum ersten Mal seit vierzehn Tagen können wir uns zurückziehen und so etwas wie ein Privatleben führen.
Die Fahrt hierher ist eine Tortur. Die Handschellen sind ein altertümliches Modell, das man per Schraube verschließt. Wir werden fremden Männern übergeben, Gesichter, die uns anstarren, in deren Miene wir irgendeinen Hinweis auf das uns bevorstehende Schicksal abzulesen suchen, während die Erinnerung an das Verhör, an die Videokamera, an die Drohungen des deutschen Taliban durch unsere Köpfe geistert. Die Landschaft wird immer unwirtlicher, trockener und heißer. Die Luft mit schwülem Dunst geschwängert. Wir erfahren, dass wir mit Franzosen und Deutschen zusammengelegt werden sollen, und fragen uns, ob wir in ein Sammellager kommen, wie dort wohl die hygienischen Bedingungen, die Verpflegung, die Unterbringung, der Zustand der anderen Gefangenen sein werden.
Wir gelangen in eine Ansiedlung, in der ein wildes Treiben herrscht. Noch wissen wir nicht, um welchen Ort es sich handelt. Der Beifahrer öffnet das Seitenfenster, schiebt eine Antenne hinaus und versucht zu funken. Keine Antwort. Der Wagen hält, und wir sehen einen Basar. Marktstände, vermummte, in der Mehrzahl bewaffnete Gestalten, Händler, Esel und Kleinvieh. Einer der Bewacher steigt aus, kauft Tee für alle, gibt uns zu trinken und bringt dann die Kanne mit den Tassen wieder seelenruhig dem Straßenhändler zurück. Es scheint kein Problem zu sein, dass in dem geparkten Wagen, dessen Scheiben nicht getönt sind, europäische Geiseln sitzen.
Sabermuli, der Mann am Steuer, biegt in einen großen Innenhof, der als Remise und Werkstatt zu dienen scheint. Anstelle der Hebebühnen hat man tiefe Erdlöcher ausgehoben. Beim Wenden übersieht der Fahrer eines der Löcher, und so sackt der Wagen mit der linken Vorderfront in die Tiefe. Männer eilen herbei, mit großem Geschrei wird das Auto wieder herausgehievt. Sabermuli lacht uns ins Gesicht und sagt: »No problem, inschallah«, aber wir fragen uns, ob diese Leute in der Lage sein werden, Verhandlungen über unsere Freilassung zu führen.
Nachdem der Funkruf gefruchtet hat, kommt uns ein weißer Toyota entgegen, bei dem ebenfalls eine Antenne aus dem Seitenfenster ragt. Zwei unserer Bewacher verabschieden sich und steigen aus. Nur Sabermuli sitzt noch mit uns im Wagen, als wir weiterfahren. Wir rollen durch die Außenbezirke und kommen in offene Landschaft, gefolgt vom anderen Fahrzeug.
Neben einem trockenen Flussbett wird gehalten. Die Beifahrertür öffnet sich, und ein großer, schlanker Mann steigt ein. Er setzt sich im Schneidersitz hin und dreht sich zu uns nach hinten. Er hat schwarze Locken, einen langen Bart, eine mächtige Nase und geschminkte Augen. Außerdem trägt er eine Munitionsweste, eine silberne Pistole, und mit seiner Bemalung und den wachen Augen sieht er ebenso Furcht einflößend wie albern aus.
Wir begrüßen einander, und dann werden wir wieder umgeladen. Wieder ein Toyota Kombi. Wieder fremde Gesichter. Im Kofferraum ein mürrischer Mann mit lockigem Haar und abweisendem Blick. Wir werden ihn »Locke« nennen. Während die mächtige Nase auf den Fahrersitz steigt, grüßt neben ihm ein Taliban, den wir »Guildo Horn« taufen, weil er ebenso schütteres Haar hat wie das Original.
Die Nase, die in
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