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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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Licht sehen wir erstmals unsere Gesichter nebeneinander. Sie wirken müde. Unsere Körper sind blasser, die Muskeln abgeschmolzen, ansonsten wirkt die Hülle fast unverändert. Aber als ich zu lächeln versuche, wirkt dieses Lächeln fremd.
    Im Hof ist ein Pferd an einem Pflock angebunden, vor ihm liegen frisches Gras und Maisstauden. Hier dürfen wir unsere Runden laufen, dann will man uns ins Zimmer einschließen. Aber wehrlos in einem Raum eingeschlossen zu sein, während in der Nähe MG -Salven rattern und Raketen explodieren, ist eine extreme Belastung. Wir bitten darum, dass man auf das Einschließen verzichtet.
    Sabermuli, der älteste Krieger und ein untergeordneter Amir, hat es sich bereits auf einem der Bettgestelle im Innenhof bequem gemacht. Von dort aus hat er den anderen befohlen, entweder die Tür abzuschließen oder die ganze Nacht Wache zu schieben. Ich spreche mit Locke und Guildo Horn und verblüffe David wieder einmal damit, dass ich die Taliban ein wenig erweichen kann.
    Locke legt die Hand aufs Herz und verspricht mir feierlich, er werde direkt vor der verschlossenen Tür schlafen, ich müsse nur einmal klopfen, dann werde er sofort aufstehen und öffnen. Wir machen einen Test. Guildo Horn steht daneben und äußert, wie immer gereizt und hysterisch, seine Bedenken.
    Die beiden sind schon lange ein Team, haben fast immer gemeinsam Gefangene bewacht, oftmals in der ehemaligen Bäckerei, unserem jetzigen Versteck auf dem Basar. Während Locke jedoch stets um Verständigung bemüht ist, neigt Guildo Horn zu Überreaktion und Gewalt. Unter anderem hat er uns einen aus alten Motorradreifen gefertigten Gummiknüppel gezeigt. Damit habe er die Gefangenen bestraft, meist Taliban, die gegen Regeln verstoßen hätten. Habe jemand geraucht, frage man ihn, ob er gestehe. Falls er nicht gestehe, obwohl man Beweise für seine Schuld habe, so dürfe Guildo mit voller Wucht zuschlagen. Gestehe der Sünder dagegen und zeige Reue, so müsse Guildo einen Koran unter den Arm klemmen, der beim Schlagen nicht auf den Boden fallen dürfe.
    Stolz führt Guildo Horn uns seine Technik vor, mit der er trotz Koran besonders hart schlagen kann, indem er den Knüppel aus dem Handgelenk schnalzen lässt.
    Natürlich hätten sie auch schon pakistanische Soldaten als Gefangene gehabt. Diese aber hätten das Zimmer nie verlassen dürfen, außer zum Toilettengang. Dagegen hätten wir es gut. Auch im Vergleich zu ihm, der hier herumsitze und seine Familie nicht sehen könne. Am liebsten wolle er jedoch an die Front, behauptet er zumindest und führt dabei theatralisch vor, wie er seine Feinde mit der Kalaschnikow niedermähen würde.
    Den kleinen Mann vergleicht David gern mit einem mangelernährten Orang-Utan, mit seinen langen Armen, dem Sackhemd und den Plastiksandalen. Jeden Morgen bürstet und ölt er sein schütteres Haar liebevoll und ausgiebig, um schließlich die ausgefallenen Haare vor sich in einem Trauerzug aufzureihen. Wenn er sich dann mit einer schwarzen Paste auch noch einen Lidstrich zieht, sieht er aus wie ein Darsteller der chinesischen Pekingoper.
    Sollte er eines Tages tatsächlich einem NATO -Soldaten mit Hightech-Ausrüstung, dunkler Oakley-Sonnenbrille und Aramidfaserhandschuhen gegenüberstehen, so werden die beiden sich wohl wie Außerirdische betrachten.
    Trotzdem haben Locke und Guildo Horn nach all den Jahren (obwohl sie erst dreißig bzw. sechsundzwanzig sind) gelernt, die Eigenheiten des anderen zu akzeptieren, und meistens wird gemacht, was der besonnenere Locke sagt.
    Als wir am nächsten Morgen erwachen, ist die Tür, wie versprochen, bereits geöffnet. Es ist halb zehn, der Dreh sollte vor einer halben Stunde stattfinden, aber unsere Bewacher schlafen. Alles ist totenstill, und wir sehnen uns nach dem verdreckten engen Innenhof, der wenigstens direkt neben dem Basar liegt und uns das Gefühl gibt, dicht am Geschehen zu sein, auch wenn nichts geschieht. So wie jetzt. Neun Uhr war geplant gewesen, alle liegen in ihren Betten.
    Nur Dumbo und sein Neffe Mino schleichen umher, spähen über die Mauer und benehmen sich, als würden sie einen bewaffneten Angriff fürchten. Wichtigtuerei, nehmen wir an.
    Wenn jeder einzelne Schritt in diesem komplizierten Prozess aus Verhandlungen, Übersetzungen, Weiterleitung von Nachrichten, Rücksprachen mit der Taliban-Spitze usw. mit einer solchen Nachlässigkeit betrieben wird, dann können wir noch Jahre hier sitzen.
    Wir kochen Kaffee und essen unser fades

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