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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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Monika nämlich, mit ihrer den fatalen Umständen verdankten, kindlich naiv gebliebenen Persönlichkeit einerseits, ihrer hilflosen Rebellion gegen die vorbestimmte Verwertung und dem trotz aller Tiefschläge ungebrochenen Anspruch auf eine faire Chance im Leben, jemand wie sie scheint nicht vorgesehen zu sein in dieser Welt, eine glatte Zumutung.
    Und was hat sie sich eigentlich von Prag erwartet? Nichts Konkretes, wenn sie ehrlich ist, weil sie bloß Hals über Kopf davongelaufen ist, als die Käfigtür einen Spalt offen stand. Noch einen Tag will sie dem Wunder, an das sie nicht recht glaubt, Gelegenheit geben, sie zu finden, dann wird sie den Rückzug antreten. Mit Barbora an ihrer Seite wäre es vielleicht anders gelaufen, fällt ihr jetzt ein. Sie wird Barbora zu überreden versuchen, es gemeinsam mit ihr zu probieren, auch sie hat ja die Nase voll. Mit diesem Vorsatz als kleinem Trost dämmert sie hinüber.
    Worauf sich die Existenz von Menschen reduziert, die ohne synthetische Drogen nicht mehr sein können, wird im Englischen gern plakativ mit drei lautähnlichen Begriffen ausgedrückt: Fight – Flight – Fright, also Kampf – Flucht – Angst. Bei Monika war dieses Muster, wie bei den Wildtieren, längst angelegt, ehe sie das Wort Speed auch nur gehört hat, aber seit der ersten Spritze hat es sich bedrohlich zugespitzt, nirgendwo kann sie in Deckung gehen, nirgendwo ist sie behaust.
    Natürlich hat sie damit gerechnet, daß František ihr eine Abreibung verpassen würde, aber daß er sie dermaßen grün und blau prügelt, sie hat es sich nicht vorstellen mögen, nicht vorstellen können. Nicht einmal Anna und die Kinder hat er aus der Wohnung weggeschickt. Wieder ist die Nase schwer ramponiert, tagelang glaubt Monika, sie sei gebrochen, die Unterlippe aufgeschwollen, ganze Büschel Haare hat er ihr ausgerissen. Beim nächsten Mal, droht ihr František, verkaufe ich dich in die Türkei. Weißt du, was sie dort mit Dreckstücken wie dir machen, wenn sie abhauen und erwischt werden? Puff, puff, ein schönes Loch in die Schläfe und dann: ein großer Stein und ein fester Strick und ein schöner Gruß an die Fische.
    Zwei Tage kann sie wegen der vielen Verletzungen nicht auf der Straße arbeiten, aber nicht, weil sie solche Schmerzen hat, die sind ihrem Besitzer herzlich egal, sondern weil sich so ein bedienter Körper nicht vermieten läßt. František grinst breit und meint, der Wohnung würde ein Generalputz ohnehin guttun, Monika habe ja jetzt ausreichend Zeit dafür. Er werde eigenhändig nachprüfen, ob sich noch irgendwo ein Körnchen Staub finden lasse, und wenn, dann Gnade ihr. Außerdem sei sie vorläufig auf Wasser und Brot gesetzt.
    Von all diesen Strafmaßnahmen fühlt sie sich keineswegs eingeschüchtert, im Gegenteil. Ihre Verachtung für František ist abgrundtief, weit stärker als die Angst vor weiteren Prügeln, vor dem angedrohten Export in die Türkei und einem möglichen gewaltsamen Tod. Barbora, die sofort einwilligt, bei der nächsten, hoffentlich glücklicheren Flucht dabeizusein, schlägt vor, wann immer es geht, schon jetzt gemeinsame Sache zu machen. Manche Männer wollen soundso zwei Frauen auf einmal, andere lassen sich immerhin dazu überreden. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn es ihnen mit vereinten Kräften in absehbarer Zeit nicht gelingen sollte, einen Freier mit dicker Brieftasche durch Alkohol und Anschmiegsamkeit so zu benebeln, daß sich ausreichend Startkapital für ein neues Leben organisieren ließe. Wieder würden sie freilich ohne jedes Gepäck die Gunst der Stunde nützen müssen. Das bedeutet: Sich komplett neu einkleiden, ein billiges Zimmer, Lebensmittel, Speed, und wenn es sich irgendwie machen läßt, ein paar Extrascheine zum Verjubeln nach all der Tristesse, das alles muß sich finanzieren lassen, bis wir auf eigenen Beinen stehen, sonst brauchen wir es erst gar nicht versuchen. Monika ist beeindruckt von so viel Voraussicht und Strategie. Worauf Barbora sich mit den eigenen Beinen bezieht, bleibt allerdings nebulos.
    Nur wenige Wochen später ist es dann so weit: Während der Kunde sturzbetrunken seinen Rausch ausschläft, erleichtern ihn die beiden Frauen im Hotel um seine gesamte Barschaft, an die dreizehnhundert Mark. Die sonstigen Tageseinnahmen eingerechnet, müßte es eigentlich klappen. Sie laufen zur nahen Tankstelle, bestellen von dort ein Taxi und fahren damit nach Prag. Die ersten drei Nächte verbringen sie in einer einfachen

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