Und plotzlich ist es Gluck
Frisur denkt man unwillkürlich an die hektische Betriebsamkeit der Grand Central Station. Übrigens sind Maureens Haare verdächtig schwarz, obwohl sie stets schwört, sie seien nicht gefärbt.
»Ach, von irgendeinem Autor. Nie von ihm gehört.« Sie hat bereits das Interesse an der Unterhaltung verloren und schnippt die Asche ihrer Zigarette in den Topf eines halbtoten Fleißigen Lieschens, das seit Tagen, wenn nicht gar Wochen, vor sich hin siecht. Vielleicht weiß George, unser Gärtner, wie man es noch retten kann. Ich werde ihn morgen fragen. Ich stelle einen Aschenbecher auf den Tisch und entferne den Blumentopf aus Maureens Reichweite.
Plötzlich leuchten ihre Augen auf. »Weißt du noch, wie eines Tages Martin Scorsese hier vor der Tür stand, und Phyllis wollte ihn nicht hereinlassen, weil sie angeblich noch nie von ihm gehört hatte?«
»Mhm.« Ich nicke. »Obwohl ich an dem Tag gar nicht zu Hause war. Phyllis hat es mir später erzählt.«
»Hat sie nicht auch etwas über seine Augenbrauen gesagt? «, fährt Maureen fort.
»Sie hat gesagt, seine Augenbrauen wären verdächtig buschig gewesen.«
Maureen lässt ihr hinreißendes, perlendes Lachen hören. »Das waren noch Zeiten, was?«
»Äh, ja.«
Sie runzelt die Stirn. »Und wo warst du damals?«
»Ich war im Krankenhaus, weißt du nicht mehr? Sie mussten mir den Blinddarm rausnehmen.«
»Den Blinddarm rausnehmen? Warum denn das?«
»Na, ich hatte doch einen Tag vorher einen Blinddarmdurchbruch gehabt, als ich mit Phyllis in der Stadt war … um Schuhe für die Schule zu kaufen, glaube ich.«
»Ach Gott, ja.« Maureen nickt. »Ich muss die Erinnerung daran verdrängt haben.« Sie nimmt einen großen Zug von ihrer Zigarette, ehe sie hinzufügt: »Es war schrecklich für mich, dich dort so klein und zerbrechlich auf dem OPTisch liegen zu sehen. Du warst gerade mal fünf Jahre alt.«
»Ich war siebeneinhalb.«
»Aber ausgesehen hast du wie fünf«, beharrt sie mit schwankender Stimme, und ich wechsle das Thema, ehe sie sich selbst zum Weinen bringt.
»Wolltest du mir nicht von Declan und den Proben erzählen? «
»Ach, richtig.« Sie gähnt. »So aufgeregt habe ich ihn nicht mehr erlebt, seit er in diesem asiatischen Handkantenfilm den Cowboy gespielt hat. Wie hieß der noch gleich?«
»Cowboys & Ninjas«, erwidere ich ganz automatisch.
Ich schalte den Backofen ein, würze den Fisch, wasche etwas Salat und stelle Reis auf.
»Ich gehe kurz rüber, um Hallo zu sagen. Könntest du ein Auge auf das Essen haben?«
»Aber natürlich, Liebes. Ich kümmere mich darum.« Sie
zündet sich eine neue Zigarette an und nimmt einen gewaltigen Schluck Wein.
Ich höre meinen Vater, ehe ich ihn sehe. Er vergewaltigt gerade einen Song auf dem Klavier in seinem Arbeitszimmer, begleitet von Hugos schrägem Gesang. Ich sehe die Szene förmlich vor mir: Hugo, hinter Declan stehend, die linke Hand auf seiner Schulter, während er mit der rechten ein imaginäres Orchester dirigiert. Am Ende des Lieds werden sie sich beide vor ihrem imaginären Publikum verbeugen. Zweifellos haben sie vor einem vollen Haus gespielt.
Hugo ist Declans Agent. Er ist älter als Declan, so um die siebzig, schätze ich. Im inoffiziellen Ruhestand – gezwungenermaßen, da mein Vater sein einziger Klient ist und seit gut zehn Jahren nicht mehr ernsthaft gearbeitet hat. Hugo stammt ursprünglich aus New York, hat zehn Jahre in London verbracht, wo er meinen Vater kennengelernt hat, und lebt nun schon eine Ewigkeit in Irland, genauer gesagt in Wicklow. Maureen behauptet immer, er wäre garantiert bei uns eingezogen, wenn man es ihm erlaubt hätte. Hat man aber nicht. Trotzdem verbringt er so viel Zeit bei uns, dass es durchaus gerechtfertigt wäre, wenn er Miete zahlen müsste.
An der Tür zum Arbeitszimmer bleibe ich stehen, um die beiden zu beobachten. Eine Champagnerflasche steckt verkehrt herum in einem Eiskübel, und auf dem Klavier steht eine Milchkanne, die, wie es aussieht, Rotwein enthält, an dem sich die beiden abwechselnd gütlich tun. Declan spielt einhändig, wenn er trinkt, was jedoch nichts an der Qualität der Vorstellung ändert.
Als ich nach dem langen, dramatischen Ausklang applaudiere, fahren sie herum. Hugo bedankt sich für den Beifall mit einer angedeuteten Verbeugung und einem
wortlosen Lächeln. Declans Reaktion fällt ungleich großspuriger aus. Er legt einen tiefen Kratzfuß hin, wobei ein paar lange Strähnen seines grauen Kopfhaars über die
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