Und plotzlich ist es Gluck
wie immer – sein strohiges Haar, sein ansteckendes Lächeln, seine Kleider, die ihm nicht so recht passen wollen.
»Nein«, sage ich.
Er hält mir sein Handgelenk unter die Nase. Er trägt eine Mickey-Maus-Uhr, deren Armband rote Striemen auf seiner hellen Haut hinterlässt. Sie geht zehn Minuten nach, aber immerhin. Ich hebe den Kopf und lächle ihn an.
»Das war doch nicht nötig«, sage ich. »Ich habe genügend Uhren für uns alle.«
»Ich dachte, ich entlaste dich ein bisschen«, erwidert er und starrt auf das Ziffernblatt, als könnte er sich nicht entsinnen, wie man die Zeit abliest.
»Okay.« Ich grabe meinen Jetzt-wird-es-ernst-Tonfall aus, der nach der ganzen Aufregung vorhin reichlich erschöpft ist. »Ich bin eigentlich nur hier, um dich dorthin zu verfrachten, wo du hingehörst.« Ich habe einen Kloß im Hals.
»Ach, ja?«, sagt er. »Und wo ist das?«
»Was?«
»Du hast gesagt, du bist nur hier, um mich dorthin zu verfrachten, wo ich hingehöre.« Er wirkt eine Spur beunruhigt.
Ich schüttle mich. Reiß dich zusammen! »Ach, richtig.« Ich tue so, als würde ich etwas in meiner Tasche suchen. »Entschuldige. Ich war kurz abgelenkt.«
»Das nehm ich dir nicht ab, Scarlett O’Hara.« Jetzt lächelt er wieder.
»Entschuldige«, sage ich erneut. »Du solltest längst drinnen neben dem Trauzeugen stehen, genau wie bei der Probe neulich.«
»Wie geht es eigentlich Sofia?«, erkundigt er sich. Wieder wirkt er besorgt.
»Sie …« Ich zermartere mir das Hirn.
»Oh nein.« Red schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Ich wusste doch, dass es so kommen würde.«
»Nein, nein, es ist alles bestens«, versichere ich ihm hastig. »Sie ist unterwegs.«
»Sie hat doch nicht geweint, oder?«
»Nun, ein bisschen, aber …«
»War Hailey bei ihr?«
»Ich habe Hailey vorausgeschickt. Sie ist bereits hier.«
»Ich hätte heute Morgen bei Sofia sein sollen. Ich habe es ihr noch angeboten, aber sie wollte nicht auf mich hören. «
»Nun, es bringt ja auch Unglück«, sage ich, obwohl ich nicht abergläubisch bin.
»Mist!« Red fährt sich durch die Haare, die Filly vorhin mit einer Tube Gel mühsam gebändigt hat. Die ganze Arbeit umsonst.
»Hör zu, Red, mach dir keine Sorgen.« Ich trete einen Schritt näher. Erst jetzt bemerke ich die dunklen Schatten unter seinen Augen, ein eindeutiges Zeichen von Schlafmangel. Seine Augen sind genauso grün wie immer. Es ist, als würde man in die Sonne sehen. Ich muss den Blick abwenden. »Sofia war bloß ein bisschen nervös, aber das ist ganz normal vor einer Hochzeit. Sie hat sich wieder beruhigt.« Es ist nur eine ganz kleine Lüge – schließlich war sie gegen Ende tatsächlich schon viel ruhiger als noch heute Morgen. Außerdem habe ich uns jetzt schon so weit gebracht. Ich habe nicht vor, an der letzten Hürde zu scheitern.
Red sieht mich an, als würde er überlegen, was er sagen soll. Ob er überhaupt etwas sagen soll.
»Kennst du das, wenn man etwas tut, das einem am Anfang wie eine gute Idee vorkam, aber dann passiert irgendwann etwas Unvorhergesehenes, und plötzlich ergibt alles keinen Sinn mehr …?« Er bricht ab, als wäre er nicht sicher, ob ich verstehe, was er meint. Dabei verstehe ich es ganz genau. Auf einmal lichten sich die Nebel in meinem Kopf, und es ist, als würde die Sonne dazwischen hervorlugen. Plötzlich weiß ich, was ich zu tun habe.
»Ich muss los«, sage ich, drehe mich um und spurte los.
»Was?«, sagt Red. »Warte! Wo willst du hin?«
Hinter Johns Wagen bleibe ich stehen. Ich starre auf Johns Hinterkopf. Er erspäht mich im Rückspiegel, und wir starren einander eine gefühlte Ewigkeit lang an. Dann beugt er sich über den Beifahrersitz, um mir die Tür zu öffnen, und ich steige ein.
»Ist alles okay?«, fragt er. Ich vernehme das entfernte Klappern von Pferdehufen auf Asphalt.
»Alles bestens«, sage ich. »Sofia sollte jeden Augenblick hier sein. Ich höre die Kutsche kommen.« Ich schließe die Tür, und es herrscht Stille.
»Gut«, sagt er. »Das freut mich.« Aber er ist auf der Hut. Er wartet ab, was ich ihm zu sagen habe.
»John …« Ich schüttle den Kopf. »Es tut mir leid.«
Er schweigt. Schließlich sagt er: »Du wirst mich nicht heiraten, oder?« Es schwingt keine Bitterkeit in seiner Stimme mit. Nur Resignation.
»Nein«, flüstere ich. »Ich hätte schon viel eher etwas sagen sollen, aber ich habe mich nicht getraut. Ich hatte Angst, Ellen ohne dich zu bekommen. Du warst meine
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