Und plotzlich ist es Gluck
für eine Frage? … Okay, okay, nein, habe ich noch nicht. Was soll ich nachsehen? Verstehe. Gut. Mach ich. Moment.«
Red legt sein Telefon auf den Boden und legt mir die Hände auf die Schultern. Ich spüre ihre Wärme durch meine Bluse hindurch. Der Schmerz hat kurz nachgelassen, also konzentriere ich mich auf das Ein- und Ausatmen.
»Äh, Scarlett, ich muss nachsehen, wie weit du schon bist«, sagt Red hastig, ohne mir in die Augen zu blicken.
Ich nicke. »Okay.«
»Okay?« Diese Antwort hat er nicht erwartet. Ich richte mich auf und schiebe mir den Rocksaum über die Knie.
»Aber mach schnell, ehe die nächste Wehe kommt«, sage ich.
Red wischt sich die Hände an der Hose ab, krempelt die Ärmel hoch, kniet sich zwischen meine Beine und beginnt mir den Slip auszuziehen.
»Zieh ihn einfach beiseite«, schreie ich seinen gebeugten Kopf an, weil bereits die Vorboten der nächsten Kontraktion
auf mich zurollen wie ein Panzer. Red zerrt an dem dünnen Stoff, und ich höre, wie er reißt.
»Ach, herrje.« Er greift nach dem Telefon.
»Was ist los?«, schreie ich zwischen meinen Knien hindurch.
Er hält sich das Telefon ans Ohr. »Ich glaube, ich sehe den Kopf.«
Ich rolle mich herum, bis ich auf allen vieren bin. Aus meinem tiefsten Innersten kommt der Drang, zu pressen. Ich kapituliere und presse, ohne einen Laut von mir zu geben.
»Hör auf zu pressen«, ruft Red. »Du sollst hecheln, haben sie am Telefon zu mir gesagt. Nicht pressen. Wir sind gleich da.«
Ich versuche, zu tun, was er sagt, versuche zu hecheln, aber das Bedürfnis zu pressen erfasst mich wie ein Hurrikan, überwältigt mich, lässt mich all meine guten Vorsätze vergessen und all meine Muskeln zusammenziehen. Es packt mich wie Hände, stemmt sich gegen mich, wirft mich um. Ich presse mit ganzer Kraft.
Die Kutsche holpert und bleibt stehen. Red richtet sich auf, das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, und späht aus dem Fenster. »Ich weiß nicht, wo wir sind«, sagt er. »Wir stecken im Stau. Wir kommen nicht weiter. … Nein, es gibt keine Busspur … Wo ist der Krankenwagen jetzt?« Gesprächsfetzen dringen in mein Bewusstsein. Ich glaube, Autos hupen zu hören, Pferdewiehern, Geschrei.
»Okay«, sagt Red immer wieder. Ich habe keine Ahnung, ob ich damit gemeint bin oder der Mensch am anderen Ende der Leitung, oder ob er mit sich selbst redet. Er zieht umständlich das Sakko und das Hemd aus, zieht so heftig daran, dass die Knöpfe wegspicken wie Maiskörner im heißen Öl. Ich frage ihn nicht, was er da tut. Ich kann
nicht. Ich kann nur noch pressen. Es tut höllisch weh. Der Schmerz glüht in mir wie ein Feuer, aber ich kann nicht anders.
Red schafft es irgendwie, mich auf den Rücken zu drehen, dann verschwindet sein Kopf erneut zwischen meinen Knien. »Der Kopf kommt«, schreit er ins Telefon. »Ja, ich glaube, sie liegt mit dem Gesicht nach unten … Ja, ich halte die Hände darunter.« Schweigen. Dann sieht er zu mir hoch und brüllt: »Pressen, Scarlett!«
»Ich kann nicht mehr«, stöhne ich schwach.
»Doch, du kannst«, sagt Red. Er streckt die Hand aus, um mir die Haare aus den Augen zu streichen. Dann lächelt er mich an. »Nur noch einmal«, flüstert er.
»Nein.« So sicher war ich mir in meinem ganzen Leben noch nie. Ich habe keine Kraft mehr.
»Du schaffst es. Du schaffst einfach alles, Scarlett O’Hara.« Und dann, als hätte sich eine Schublade in mir geöffnet, in der ich eine Portion Reserveenergie für Notfälle aufbewahre, stütze ich mich auf die Ellbogen auf, hole einmal tief Luft und presse ein allerletztes Mal. Diesmal fühlt es sich anders an. Bedächtiger. Sanfter. Ich spüre etwas, das sich anfühlt wie die Konturen von Ellens Gesicht. Es bewegt sich durch mich hindurch, aus mir heraus.
»Ich halte ihren Kopf in den Händen!«, schreit Red, und in seiner Stimme liegt dasselbe ehrfürchtige Staunen, das ich empfinde. Ich kämpfe mich durch das Staunen hindurch, und plötzlich ist da dieses warme, glitschige, rutschige Gefühl. Die Schmerzen haben aufgehört, und ich weiß, dass Ellen gekommen ist. Sie ist da.
54
Ich bemerke es nicht gleich. Mir pocht das Blut in den Ohren, und mein Atem geht schwer und laut. Dann höre ich es. Es ist das Schrecklichste, das ich je gehört habe. Totale Stille. Erstickend und undurchdringlich, wie Rauch. Ich stemme mich hoch. Sehe, wie Red Ellen in sein rosa Hemd wickelt. Ihr winziger Körper ist darin nicht zu erkennen. Das Rascheln des Stoffs ist das
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