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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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hin und her laufende Menschen mit Laptops und Aktentaschen und dem Knopf eines Mobiltelefons im Ohr. Erschöpfte, ungekämmte Menschen, die mit glasigen Augen auf Anzeigetafeln starren.
    Ich halte einen Moment inne. Um mich herum wuselt es, aber ich habe das Gefühl, gar nicht wirklich hier zu sein. Ich stelle meine Reisetasche neben mir auf den Boden und wische mir mit einem Papiertaschentuch die Schweißperlen von Stirn und Oberlippe.
    Als ich mich bücke, um meine Tasche aufzuheben, tanzen an den Rändern meines Blickfelds weiße Flecken. Ich kauere mich auf den Boden, nestle pro forma am Tragegurt herum und schließe die Augen. Es ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert. Und weil ich sonst normalerweise keine weißen Flecken tanzen sehe, weiß ich, dass es mit dem Baby zu tun hat. Sogleich schüttle ich den Kopf. Es ist kein Baby. Noch nicht. Es ist ein Zellklumpen, für das menschliche Auge nicht erkennbar. Noch gar nicht richtig vorhanden.
    »Ist alles in Ordnung?« Eine Hand umfasst meinen weichen, fleischigen Oberarm. Ich spüre ihre Wärme durch den dünnen Stoff meiner Jacke hindurch.
    Ich reiße die Augen auf und erhebe mich. »Alles bestens,
danke«, sage ich, schwanke dabei allerdings ein wenig. Jetzt packt mich die Frau an beiden Oberarmen.
    »Sie sind ja weiß wie ein Gespenst«, stellt sie fest.
    Ich sehe zunächst nur ihren Mund. Dann rücken Nase und Wangen, Augen und Stirn ins Blickfeld, wie bei einer Kamera, die sich rückwärts bewegt.
    »Ich bin zu schnell aufgestanden, das ist alles.« Ich trete einen Schritt zurück.
    Die Frau ist älter, als ich aus ihrer Stimme geschlossen hätte, und ihr Blick ist beunruhigend. Als wüsste sie Bescheid. Sie trägt einen beigefarbenen Mantel, der ihr zwei Nummern zu klein ist. Es sieht aus, als würden gleich sämtliche Knöpfe wegspicken.
    »Bovril«, verkündet sie.
    »Verzeihung?«
    »Bovril. Gut gegen Schockzustände.«
    »Ich stehe gar nicht unter Schock. Ich fühle mich bloß … etwas benommen. «
    »Bovril hilft gegen Benommenheit und Schock und alle möglichen anderen Unpässlichkeiten.« Sie beginnt in ihrer Schultertasche zu wühlen, die so riesig ist, dass ihr gesamter Arm darin verschwindet. Bringt sie jetzt etwa gleich ein Glas Bovril zum Vorschein? Nein, es ist lediglich ihr Mobiltelefon.
    »Also, dann …«, sage ich, und diesmal gehe ich vorsichtshalber in die Knie, um meine Tasche aufzuheben. »Ich sollte mich auf den Weg machen. Mein Flug …«
    »Glauben Sie mir, Bovril wirkt Wunder, meine Liebe. Mit zwei Löffeln Zucker. Das ist genau das, was Sie brauchen.«
    »Bovril sollte aber nicht mit Zucker kombiniert werden«, sage ich und füge hastig hinzu: »Habe ich jedenfalls gehört.« Weil sie so freundlich ist. Seltsam, aber freundlich.
    »Ach, es gibt so vieles, was man eigentlich nicht tun soll, und die Leute tun es trotzdem«, winkt sie ab, während sie mit dem Zeigefinger eine Nummer in ihr Handy tippt. »Nicht wahr?«
    Ehe mir eine Entgegnung darauf einfällt, hält sie sich das Telefon ans Ohr und sagt, besser gesagt, schreit: »Ellen? Bist du das, Ellen? … Hörst du mich? … Ellen?«
    Ich stehe daneben und weiß nicht recht, was ich tun soll. Es könnte unhöflich wirken, wenn ich jetzt einfach gehe, ohne ihr für ihre Hilfe und ihren gut gemeinten Rat zu danken.
    »Hörst du mich? … Ja, ich höre dich … Ellen? … Ellen? «
    Ich greife nach meiner Tasche und beschließe, abzuwarten, bis mich die Frau ansieht, dann werde ich ihr dankend zulächeln und mich auf den Weg machen.
    »Nein, Ellen, warte einen Augenblick. Neben mir steht so ein schmächtiges junges Ding, das aussieht, als könnte es jeden Augenblick in Ohnmacht fallen … Ja, natürlich habe ich ihr Bovril empfohlen … ja, mit Zucker … Moment noch.« Sie lässt das Telefon sinken und sieht mich an.
    »Äh, es geht schon wieder, danke.«
    »Denken Sie dran, Bo…«
    »Mach ich. Danke.«
    Die Frau winkt, formt mit den Lippen noch einmal das Wort Bovril und setzt dann ihr Telefonat fort. »Ellen? … Bist du noch dran, Ellen? … Hörst du mich?«
    Ich marschiere los. Ihre Stimme verfolgt mich noch eine ganze Weile. Als ich an einer Anzeigetafel vorbeikomme, sehe ich, dass in fünfzehn Minuten eine Maschine nach Sao Paulo geht. Das Gate wird gerade geschlossen. »Letzter Aufruf für den Flug mit der Nummer EI231 nach Sao Paulo«, verkündet eine Angestellte via Lautsprecher. Ich
male mir flüchtig aus, dass ich ein Ticket kaufe, mich an einer Schlange

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