Und plotzlich ist es Gluck
Eile anzutreiben. Sie greift nach einem Zierkissen, schüttelt es mit der unversehrten Hand auf, deponiert das wehe Händchen darauf und lehnt sich mit einem tiefen Seufzer zurück.
»Ich konnte es deinem Vater noch nicht erzählen«, verkündet sie. »Er hat gestern nämlich bei Hugo genächtigt.«
»Ich sage es ihm selbst.« Wie Declan wohl auf die Neuigkeit reagieren wird?
Das Telefon klingelt, ein altmodisches Ring! Ring!, das genauso zum Haus meiner Eltern gehört wie der AGA-Gasherd und die Schiebefenster.
»Ich gehe schon«, sage ich, hebe erneut das Tablett hoch und mache mich auf den Weg. »Ich bringe dir gleich deinen Tee.«
»Und eventuell ein, zwei Scheiben Toast mit Honig? Und vielleicht ein paar Scheiben Avocado …«
»Seltsame Kombination«, sage ich und nehme vorsichtig die Treppe in Angriff.
»Solidarisch bedingte Schwangerschaftsgelüste«, ruft mir Maureen nach, was mir ein Lächeln entlockt. Hm. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich sagen, Avocado und Honig auf Toast klingt eigentlich ziemlich lecker. Warum bin ich da noch nie darauf gekommen? Beim siebten Klingeln nehme ich den Hörer ab.
Es ist Filly, und sie fällt gleich mit der Tür ins Haus. »Wie hat sie es aufgenommen?«
»Sehr gut, in Anbetracht der Umstände. Sie leidet an allerlei solidarischen Symptomen, das bringt sie zum Glück auf andere Gedanken.«
»Und was sind das für Symptome?«
»Ach, du weißt schon, Übelkeit, seltsame kulinarische Gelüste, Erschöpfung und so weiter.«
»Du meine Güte«, schnaubt Filly, obwohl sie weiß, dass Maureen nicht der klassische Mutter-Typ ist.
»Und was ist mit dir? Wie geht es dir? «
Ich setze mich auf die unterste Stufe der Treppe, um mir Fillys Fragen durch den Kopf gehen zu lassen, und ziehe meinen Morgenmantel enger um mich. Es ist kalt im Korridor.
»Naja, ich musste mich übergeben, obwohl ich nichts gegessen hatte.«
»Das ist die morgendliche Übelkeit.« Filly kennt sich mit allem aus, angefangen von den Spielregeln beim Flohhüpfen über Kochrezepte für Kichererbsengerichte bis hin zu schwankenden Zinsraten und ihren Einfluss auf den Preis eines Abendkleides von Coast (obwohl sie selten in derart exklusiven Geschäften einkauft, sie bezieht ihre Garderobe lieber aus Second-Hand-Läden).
»Aber davon einmal abgesehen geht es mir gut. Viel besser als gestern.« Ich schließe die Augen, von Schuldgefühlen übermannt.
»Hör mal«, sagt Filly. »Was passiert ist, wäre ohnehin passiert. Ganz unabhängig von … allem anderen.« Sie hat also messerscharf kombiniert, was meine Pläne für den gestrigen Tag angeht, erwähnt sie aber mit keinem Wort. Ich weiß nicht, wie ich das finde. Ich glaube, ich bin ihr dankbar.
»Könnte Red Butler der Vater sein?«, fragt sie.
»Ja«, antworte ich unverblümt. Es hat keinen Zweck, es zu leugnen. Nicht gegenüber Filly.
»Oder John?«
»Ja.«
»Wie zum Teufel konnte das nur passieren?«
»Ich weiß auch nicht. Ich war immer so …«
»Vorsichtig«, ergänzt sie, und ich stimme ihr zu. »Ich meine, du hast doch sicher ein Kondom benutzt.« Es ist eine Feststellung, keine Frage.
»Du weißt doch, dass ich die Pille nehme.«
»Mit Red, meine ich«, sagt sie. »Da musst du doch ein Kondom verwendet haben.«
Schweigen. »Ähm, nun, das … Das war ja eine eher spontane Aktion.«
»Es kommt mir so vor, als würde ich mit einem wildfremden Menschen reden«, stößt Filly ungläubig hervor. In ihrem Tonfall schwingt etwas mit, das an Bewunderung grenzt.
»Ich weiß«, ist alles, was mir dazu einfällt. Nicht zum ersten Mal zermartere ich mir – vergeblich – das Hirn, wie ich aus diesem Sumpf wieder herauskomme. »Oh, Gott.«
»Wir schaffen das schon.« Wir. Genau das hat Bryan auch gesagt. Wir. Die Sorge der beiden um mich fühlt sich an wie eine warme Decke. Ich kuschle mich hinein.
Dann regt sich meine Neugier. »Wie hat Sofia reagiert?«
»Melodramatisch.« Ich schätze, das trifft den Nagel auf den Kopf, wenn ich an den ausgeprägten Hang zur Theatralik denke, der sämtlichen Marzoni-Schwestern zu eigen ist.
»Will sie trotzdem, dass ich ihre Hochzeit plane?«
»Sie zieht sogar in Erwägung, den Termin zu verschieben, bis du wieder aus dem Mutterschaftsurlaub zurück bist.«
»Sie will ihre eigene Hochzeit verschieben? Lieber Himmel. Das dürfen wir nicht zulassen.«
Ich brauche diese Hochzeit. Ich brauche diese Beförderung. Ohne Sofia Marzoni kann ich Gladys die Stelle auch gleich auf einem Silbertablett
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