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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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schlimmer, als es eigentlich war.
    Ich blicke anklagend zu Filly. »Wenn du die Drinks bezahlt hättest …«
    »Ich hatte kein Geld, weißt du nicht mehr?«
    »Und ob du Geld hattest. Du hattest noch einen Zwanziger. Du hast das Taxi zu dir nach Hause bezahlt.«
    Filly tut, als hätte sie es nicht gehört.
    »Jedenfalls habe ich mit ihm getanzt, und dann haben wir uns geküsst, und so hat eins zum anderen geführt und …«
    »Halt, halt, halt! Moment.« Elliot reißt beide Arme in
die Höhe, als hielte er das Zaumzeug eines störrischen Pferdes in der Hand. »Wer hat wen geküsst?« Er behauptet nicht umsonst immer, der Teufel stecke im Detail.
    »Wir haben einfach … Ich weiß es nicht genau. Ich sage doch, ich war betrunken. Erst haben wir ganz harmlos getanzt, und plötzlich haben wir uns geküsst.«
    Von wegen. Ich erinnere mich ganz genau. Die Erinnerung ist noch so präsent, dass es schmerzt, wenn ich daran denke. Ich erinnere mich an den Abstand zwischen uns. Etwa dreißig Zentimeter. Vielleicht auch fünfundzwanzig. Wenn es nach mir ginge, wäre es noch weniger. Sein Atem, der mein Haar streift. Der Geruch, der ihn umgibt: haarig und süß wie eine Kokosnuss. Meine Handflächen sind schweißnass und heiß, und ich frage mich, ob er das durch sein T-Shirt hindurch spüren kann. Ich konzentriere mich auf den Kronleuchter hinter seiner rechten Schulter. Ich zähle rückwärts von zehn bis eins, auf Gälisch. Ich denke an Pensionsfonds. Ich räume im Geiste den Inhalt meines Kleiderschranks um, sortiere ihn nach Sommer- und Wintergarderobe, nach Farbe und Material. Und trotz all dieser Bemühungen löst sich meine Entschlossenheit in Luft auf, und ich hebe den Kopf, und der Lärm rund um uns verstummt, und die Entfernung zwischen uns beträgt noch ungefähr acht Zentimeter. Nein, siebeneinhalb. Ich schließe die Lücke und küsse ihn. Ich, die ich in meinem ganzen Leben noch nie den ersten Schritt getan habe. Ich, die ich bislang genau neun Menschen geküsst habe. Zehn, wenn man Filly dazurechnet. Ich erinnere mich an mein Spiegelbild in seinen Pupillen, als er sich von mir löst. Ich erkenne mich kaum wieder. Und als ich seine Hand ergreife und die Tanzfläche verlasse, folgt er mir. Ich marschiere los, ohne darüber nachzudenken, ohne Für und Wider gegeneinander
abzuwägen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass das nicht in meinem Fünfjahresplan steht. Und es fühlt sich ungeheuerlich und fantastisch und erschreckend zugleich an. Hemmungslos.
    Das kannte ich bislang nur vom Hörensagen. Es fühlt sich so echt an. Als hätte ich die alte Scarlett einfach auf der Tanzfläche stehen lassen. Hemmungslosigkeit ist eine großartige Einrichtung. Ich frage mich, wie ich es eigentlich so lange ohne ausgehalten habe, während ich mit Red Butler im Schlepptau den Club durchquere. Ich habe keine Ahnung, wohin ich gehe, aber dank meiner Hemmungslosigkeit zerbreche ich mir nicht groß den Kopf darüber. Wir kommen an Filly vorbei, und ich bemerke sie nicht einmal, sonst hätte ich gesehen, dass sie mit offenem Mund verfolgt, wie ich mit Red auf eine Tür neben dem Tresen zustrebe. Eine schwere schwarze Tür mit einem Schild, auf dem »Zutritt nur für Mitarbeiter« steht. Ich gehe darauf zu. Ein Teil von mir weiß, dass es kein Zurück gibt, sobald ich durch diese Tür gegangen bin. Die Hemmungslosigkeit verdrängt jeden Anflug von Unsicherheit. Ich öffne die Tür und betrete einen Raum, dessen Inneres ich eher spüre als sehe. Die Tür fällt hinter uns ins Schloss; die Musik wummert, als würde eine Faust von außen dagegentrommeln. Hände tasten nach mir. Wir taumeln durch die Dunkelheit, bis ich rücklings an eine Wand stoße, die allerdings gar keine Wand ist. Vielmehr handelt es sich um aufgestapelte Bierkästen. Selbst diese Tatsache, die Schmuddeligkeit der Umstände kann mich nicht abhalten.
    Ich erinnere mich an den Song »We Are The Angry Mob«, die Bässe, die die schwarze Tür beben lassen, als würde jemand versuchen, sich Zutritt zu verschaffen. Ich erinnere mich an das Klappern der Flaschen in den Bierkästen bei jeder unserer Bewegungen. Ich erinnere mich an
eine Topfpflanze auf einem Tisch, an ihre langen, gefährlichen Stacheln, die in die Dunkelheit ragen.
    Aber am deutlichsten erinnere ich mich an das Gefühl der Hemmungslosigkeit. An ihren Geschmack, intensiv und exotisch, wie Limetten. An die pulsierende Lust, die mir dieses ungewohnte, berauschende Gefühl verschafft. Ich gebe mich ihm

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