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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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Porzellantasse auf dem Kopf balancieren – eine falsche Bewegung, und sie wird hinunterfallen und in tausend Scherben zerspringen, so dass sie selbst mit zwanzig Tuben Superkleber nicht mehr zu retten sein wird. In dieser Nacht kann ich nicht schlafen, aber es ist eine andere Schlaflosigkeit als sonst. Eine von der Sorte, wie ich sie normalerweise vor einer meiner Hochzeiten habe. Ich muss bis zum Morgen warten, ehe ich John anrufen kann. Morgens ist er besser drauf. Ich sehe auf die Uhr. Noch fünf Stunden, bis der Wecker klingelt. Ich nehme meinen Terminkalender zur Hand, schlage ihn an einer leeren Seite auf und beginne mir stichwortartig mögliche Dialoge zu notieren, damit ich für alle Eventualitäten gerüstet bin. Ich tausche da und dort einen Schlüsselbegriff oder eine Formulierung aus. Ich rechne nach, wie lange er jetzt weg ist (sechs Wochen und drei Tage) und rufe mir in Erinnerung, wie er aussieht. Ich stelle ihn mir in einem Anzug vor. Male mir aus, wie er gräbt. Im Anzug. Lächerlich, ich weiß, aber ich kann ihn mir beim besten Willen nicht in kurzer Hose und T-Shirt vorstellen. Ich versuche, ihn mir mit einer Babytrage auf dem Bauch vorzustellen. Sein Sakko knittert unter den Trägern.
    Wieder sehe ich auf die Uhr. In Brasilien ist es jetzt auch Nacht, aber der Tag bricht dort schon eher an als hier. John
wird die ganze Nacht durchgeschlafen haben, wie er das immer tut. Er führt das darauf zurück, dass er sich nur eine Tasse Kaffee pro Tag genehmigt und weder Tee noch Cola trinkt. Er hat sich meine Schlafstörungen nie erklären können. Natürlich hat er sich im Internet darüber schlaugemacht, hat mir Tausende und Abertausende Heilmittel präsentiert, die ich alle längst ausprobiert hatte. Doch ich probierte sie noch einmal. Seinetwegen. Und es kam mir so vor, als fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt, weil keine Methode anschlagen wollte.
    Ich blättere um und falte die Seite in der Mitte, um sie in zwei Spalten aufzuteilen. Über die linke Spalte schreibe ich: »Was ich an John vermisse«. Ich kaue auf meinem Stift herum und zähle die Sekunden zwischen Maureens Schnarchern. Zehn Sekunden. Ich streiche »vermisse« und ersetze es durch »mag«.
    reinlich
organisiert
liebt Katzen
pflichtbewusst
vernünftig
gut in Schach, Scrabble und Sudoku
Frühaufsteher
    Wieder stecke ich mir den Stift zwischen die Zähne, während ich nachdenke, was ich an John nicht mag. Aber eigentlich kann ich in die rechte Spalte nur »hat mich verlassen« schreiben.
    Ich rufe mir unser letztes Gespräch in Erinnerung. Es fing damit an, dass er mich fragte: »Bist du glücklich?« Ich sagte: »Ja.« Ich war glücklich. Ich war definitiv nicht un glücklich.

    »Ich bin es nicht«, murmelte er, und seine Worte bohrten sich in mein Herz wie ein Spaten.
    »Warum nicht?«
    »Ich bin fünfundvierzig.«
    »Na, und? Ich bin fünfunddreißig.«
    »Wir haben keine Kinder. «
    »Wir wollen keine Kinder.«
    »Wir sind nicht verheiratet.«
    »Weil wir nicht an die Institution der Ehe glauben. Die Ehe ist eine Augenauswischerei und führt sehr häufig zu Scheidung und/oder Untreue und/oder maßloser Langeweile, die wiederum dazu führt, dass man den Lebenswillen verliert.« Das war immer unser Leitspruch gewesen.
    »Ja, ich weiß, aber …« John ließ den Kopf in die Hände sinken und stieß einen Seufzer hervor, mit dem er sämtliche Blätter von einem Baum hätte fegen können.
    Ich rückte näher an ihn heran. Sein Atem war warm und roch nach Pfefferminz, nur eine Spur. Er war mir so nah, dass wir uns hätten küssen können.
    »Was ist los, John?«
    »Mir kommt einfach alles so negativ vor. Wir wollen nicht heiraten, wollen keine Kinder haben. Ich will etwas wollen. Ich will an etwas glauben.«
    Ich schließe meinen Terminplaner und lege mich hin. Ich drehe das Kissen um und bette den Kopf auf die weiche, kühle Oberfläche. Ich sehe auf die Uhr mit den grünen Leuchtzeigern, die mir John zum dreiunddreißigsten Geburtstag geschenkt hat. »Damit du im Dunkeln die Uhrzeit sehen kannst«, hat er gesagt.
    Noch vier Stunden. Ich schließe die Augen und denke an Ellen. Ich stelle mir vor, dass sie Johns blaue Augen hat, blonde Haare, weiche, blasse Haut, zartrosa Fingernägel und milchweiße Zähne. Ich stelle mir ihr Zahnlückenlächeln
vor. Als ich das nächste Mal die Augen aufschlage, ist der Morgen angebrochen und mein Wecker klingelt.
     
    Im Büro schließe ich die Tür und die Jalousien, dann greife ich zum

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