Und plotzlich ist es Gluck
Telefonhörer und wähle seine Nummer in Brasilien. Ich weiß, er wird beim vierten Klingeln hingehen. Er geht immer beim vierten Klingeln hin. Ich weiß nicht, warum, aber in meinem aktuellen Zustand finde ich diese Angewohnheit beruhigend. Etwas, auf das man sich verlassen kann. Mir fällt beinahe der Hörer aus der Hand, als nach dem dritten Klingeln jemand abhebt. Es ist nicht John, sondern eine Frau.
»Alô?«
»Ähm …«
»Alô!«, tönt es erneut aus der Leitung, etwas ungeduldig diesmal. Eine heißblütige Latino-Ungeduld.
Ich räuspere mich. »Äh … Ist John da? John Smith?«
»Juan? Juan e-Smith?«, wiederholt sie.
»Das ist doch sein Telefon, nicht?« Jetzt bin ich es, die ungeduldig klingt. Eine Ungeduld wie ein glühender Schürhaken.
»Sim. Juan ist in der Dusche. Hier ist Lolita. Ich sage ihm, dass er Sie surückruft. Sie heißen, bitte?«
»Äh … Scarlett. Scarlett O’Hara.« Es folgt die übliche verblüffte Stille.
»Wie in der Film?«, sagt sie mit tiefer, kehliger Stimme. »Vonne Winde verweht?«
»Sagen Sie ihm einfach, dass Scarlett angerufen hat.« Ich lege auf, ohne eine Antwort dieser Lolita abzuwarten, deren Stimme so abartig sexy klingt.
Mein Telefon klingelt fast unmittelbar darauf. »Und?«, fragt Filly.
»Woher …? «
»Ich bin im Büro«, sagt sie, als wäre das nicht weiter ungewöhnlich.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist sieben Minuten nach acht. Filly war nur ein einziges Mal um diese Zeit im Büro, und zwar, als wir 2005 einmal durcharbeiten mussten, weil wir genau eine Woche Zeit hatten, um die Hochzeit einer Frau namens Nancy zu organisieren, die wir insgeheim Nanny McFee nannten, weil sie unglücklicherweise ein Muttermal unterhalb des linken Nasenflügels hatte, genau wie die Film-Nanny. Nancy hatte nach jahrelanger verzweifelter Suche endlich ihren Traummann gefunden und wollte Nägel mit Köpfen machen, ehe er es sich anders überlegen konnte.
»Eine Frau namens Lolita ist rangegangen.«
Schweigen im Walde.
»Oh. Naja, vielleicht war er gerade mit Graben beschäftigt, irgendwo in einem Loch.«
»Er war unter der Dusche.«
»Oh.« Wenn selbst Filly damit überfordert ist, einer Situation einen positiven Anstrich zu verleihen, dann ist die Lage wirklich hoffnungslos.
20
John ruft zurück, als ich in einer Sitzung bin. Ich rufe ihn zurück, erwische aber nur die Mailbox. Er probiert es erneut, als ich Elliot in meinem Büro die Haare schneide, weshalb ich es nicht rechtzeitig ans Telefon schaffe. Elliot lässt sich die Haare immer nur ein paar Millimeter trimmen, und weil sich sein Friseur weigert, deswegen die Schere in die Hand zu nehmen, komme ich regelmäßig alle sechs Wochen zum Handkuss. Leider hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass ich ein Naturtalent zu sein scheine, so dass nun auch Duncan gelegentlich von meinen Diensten Gebrauch macht, wenn er es vor einem Meeting nicht mehr zu seinem Friseur geschafft hat (der nebenbei bemerkt einer der besten in der Stadt ist und eine Warteliste hat, die so lang ist wie die Mittsommernacht).
Ich rufe John zurück, aber er geht nicht ran. Dieses ganze Hin und Her macht mich fertig. Schließlich schicke ich ihm eine SMS. Warum bin ich nicht schon eher auf diese Idee gekommen? Zugegeben, wir sind beide keine großen SMS-Freunde. Wir ziehen kurze, prägnante Telefonate vor, bei denen innerhalb von dreißig Sekunden alles gesagt ist. Keine Missverständnisse, keine Smileys, keine Hornhaut an den Daumenkuppen.
Ich tippe: »Muss mit dir reden. Wann bist du am besten zu erreichen (westeuropäische Zeit)?«
Ich warte.
Es dauert keine Minute, dann kommt seine Antwort.
»Rufe dich heute Abend um 11 (WEZ) an, ok?«
Ich bin völlig von den Socken, denn vom Ende der Nachricht grinst mir ein Smiley entgegen. Ein richtiger, echter Smiley, dessen Augen nur zwei schmale Schlitze sind vor lauter Lächeln.
Ich rufe unverzüglich Bryan an.
»Und?«, fragt er.
»John ruft mich heute Abend an«, berichte ich. »Um elf. Unsere Zeit.«
»Das ist gut«, sagt er.
»Vermutlich, ja.«
»Was hast du noch auf dem Herzen?«
»Er hat mir eine SMS geschickt.«
»Aber doch nur, weil du ihm zuerst eine geschickt hast.«
»Am Ende der SMS war ein lächelnder Smiley.«
»Ein lächelnder Smiley?« Seine Stimme wird eine Oktave höher, wie immer, wenn er überrascht ist.
»Ganz recht.«
»Na, wenigstens ist es kein weinender Smiley. Und auch kein zorniger mit hochrotem Kopf oder herausgestreckter
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