Und Sei Getreu Bis in Den Tod: Mitchell& Markbys Letzter Fall
räusperte sich jemand laut und resolut über ihren Köpfen. »Tut mir Leid, Sie stören zu müssen«, sagte Dolores Forbes und stellte mit dumpfem Schlag eine Flasche vor ihnen ab. »Ihr gekühlter Wein, die Herrschaften!«
Jess Campbell kam gegen Mittag in das Regionale Hauptquartier zurück und kramte in einer Schublade ihres Schreibtischs, als sie merkte, dass jemand das Büro betreten hatte und nun neben der Tür stand.
»Einen Moment noch!«, rief sie ohne aufzublicken. »Ich bin sofort fertig!«
»Keine Eile«, antwortete eine angenehme männliche Stimme.
Jess zuckte zusammen und wirbelte herum. »Oh, Verzeihung, Sir! Ich habe nicht gesehen, dass Sie es sind.«
»Ich wollte mich eigentlich nur erkundigen, wie Sie drüben in Overvale House zurechtgekommen sind«, sagte Alan Markby.
»Ich hab ein paar Dinge herausgefunden, eins davon eine richtige Überraschung. Ich wollte eben einen Bericht verfassen«, fügte Jess hastig hinzu.
Markby nickte. »Um diese Tageszeit und unter diesen Umständen, wenn Sie Dave Pearce gewesen wären und immer noch im Büro, hätte ich Sie auf ein Pint in dem Pub an der Ecke eingeladen.«
»Oh«, sagte Jess. Bei der Erwähnung des Namens ihres Vorgängers richteten sich ihre Nackenhaare auf, doch die zweite Hälfte des Satzes war völlig unerwartet. »Ich weiß nicht, ob ich ein Pint schaffe, Sir«, antwortete sie. »Aber vielleicht einen halben Cidre.«
Markby schenkte ihr ein breites Lächeln. »Meredith, meine Verlobte, trinkt ebenfalls Cidre. Also schön, kommen Sie. Sie können mir in einer gemütlicheren Umgebung als dieser hier erzählen, was Sie heute Morgen herausgefunden haben.«
Das Pub, in dem Jess sich wiederfand, war ganz anders als das Lokal, in dem Toby und Meredith eine Flasche höchst zweifelhaften Weins teilten. Das Feathers, trotz all seiner Fehler, war ein echtes altes Pub. Dieses hier befand sich in einem relativ neuen Gebäude und war auf eine Weise ausgestattet, die »Charakter« vermitteln sollte. Bücherregale an den Wänden waren gefüllt mit einer wirren Mischung aus gebrauchten Bänden. Woraus auch immer die Deckenbalken gemacht waren – aus Holz bestanden sie nicht. In einem Kamin in der Ecke brannte ein Feuer, doch es brannte mit Gas, nicht mit Holz. »Tut mir Leid wegen all dem Kitsch.« Markby hatte ihre
kritischen Blicke auf die Umgebung bemerkt. »Es gibt ein gutes Schinkenbaguette hier, falls Sie hungrig sind. Ich nehme ebenfalls eins.«
»Oh. Ja, Sir. Danke sehr.«
Irgendwie war ein freundlicher, entspannter Superintendent Markby noch alarmierender als der professionell höfliche Superintendent. Was wollte er damit erreichen? Dass sie, Jess, ihm ihre größten Geheimnisse anvertraute? Ich hab überhaupt keine!, dachte sie grob. Doch, hast du, antwortete jene innere Stimme, die sich daran ergötzt, uns aus der Fassung zu bringen. Jeder hat Geheimnisse.
Markby war von der Theke zurück, in einer Hand ein Pint, in der anderen einen Cidre. »Die Baguettes kommen gleich«, sagte er. »Cheers!«
Sie hob vorsichtig ihr Glas. »Cheers, Sir.«
»Was halten Sie von dem Kemp-Fall?« Er stellte sein Glas ab. Wenigstens hatte er offensichtlich nicht vor, sie auszuhorchen.
Jess spürte, dass er von ihr eine gleichermaßen direkte Antwort erwartete. Sie begann zu berichten, während sie sich bemühte, das nervöse Zittern aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Es erscheint als ein zu unwahrscheinlicher Zufall, dass Fiona Jenner auf die gleiche Weise aufgefunden wurde wie damals Freda Kemp. Der Mörder kannte zumindest die damaligen Einzelheiten. Was wiederum die Vermutung nahe legt, dass der Mörder und der Briefeschreiber ein und dieselbe Person sind. Das denkt jedenfalls Jeremy Jenner, und vielleicht hat er Recht damit. Oder der Killer hat absichtlich eine falsche Spur gelegt, um uns von der Fährte abzubringen. Der Killer und der Briefeschreiber sind vielleicht nicht identisch, aber der Killer weiß von den Briefen und will uns in die Richtung des Briefeschreibers lenken.
Was den Kemp-Fall angeht …« Hier versagte Jess vor Nervosität die Stimme, doch sie fing sich rasch wieder und fuhr entschieden fort: »Die ursprüngliche Ermittlung scheint fehlerhaft verlaufen zu sein. Entweder gab es nicht genügend Beweise, und der Fall hätte überhaupt nicht vor Gericht zugelassen werden dürfen, oder es gab Beweise, doch sie wurden nicht ordentlich überprüft. Die Inspiration für die Drohbriefe gegen Alison Jenner liegt vielleicht in den Fehlern, die damals
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