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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wollte, dass er intensiv nachdachte.
    Klemens XI. strahlte indes gut gelaunt. Alle Probleme schienen sich für ihn nach und nach in Luft aufzulösen. Das stimmte ihn offenbar großzügig.
    »Gut, in Anbetracht deiner Verdienste sollst du bei der Durchsuchung dabei sein. Aber danach reist du unverzüglich, und unverzüglich heißt heute noch, ab. Du hast einen heiligen Eid geleistet, Lambertini«, schloss der Papst warnend.
    Prospero hatte ihn nur zu gut verstanden. Ohne den Beweis für die Heiligkeit der seligen Elisabeth dürfte er nicht aus Marburg zurückkehren.

46.
    E in wütender Schmerz in ihren Eingeweiden weckte sie. Entkräftung hatte sie wegdämmern lassen. Der Schlaf war gnädig gewesen, er hatte sie aus diesem Alptraum befreit und nach Hause geführt. Nun zwang sie dieses bohrende Gefühl im Bauch, wieder die Augen zu öffnen und in ihren Kerker zurückzukehren. Dieses Gefühl, das sie im Gegensatz zu vielen anderen Menschen bis jetzt nicht gekannt hatte, war Hunger. Wie lange sie schon nichts mehr gegessen hatte, wusste sie nicht. Aber es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit.
    Sie vermisste den Mann, der ihr das Essen brachte, noch aus einem anderen Grund. Cäcilia vermutete nämlich, dass man sie in regelmäßigen Abständen mit Nahrung versorgt hatte. So war es ihr gelungen, eine neue Einteilung der Zeit zu finden. Statt des Wechsels von Tag und Nacht hatten die Mahlzeiten die graue Ewigkeit unterbrochen und ein neues Muster geschaffen. Sie ritzte mit einem kleinen Steinchen Striche in die Wand, die ihren Käfig an einer Seite abschloss. Schätzungsweise gab man ihr zweimal am Tag etwas zu essen. Zwei Striche entsprachen demnach einem Tag. Für diese Erkenntnis war sie ihrem Bruder zu Dank verpflichtet, denn er hatte ihr mit Hilfe aller möglichen Rätsel beigebracht, immer zuerst das Muster zu suchen.
    Eigentlich war es ihrem Gefühl nach längst Zeit für eine neue Kerbe, aber der Mann blieb aus. Irgendetwas war anders als sonst. Vielleicht hatte sich etwas Unvorhergesehenes ereignet. Oder hatte man sie nur vergessen? Dagegen sprach, dass man sich viel zu viel Mühe mit ihrer Entführung
gemacht hatte. Es musste etwas eingetreten sein, womit auch die Entführer nicht gerechnet hatten.
    Cäcilias Augen hatten sich an das spärliche Licht im Verlies gewöhnt. Sie war zwar nicht in der Lage, den ganzen Raum zu übersehen - dazu war er zu groß und das Licht zu gering -, aber sie konnte erkennen, dass sie sich in einer Art künstlicher Grotte befand, in einem in den Felsen gehauenen Keller. Sie vermutete, dass sie in der Tiefe unter einem Palast gefangen gehalten wurde. Die allgegenwärtige Feuchtigkeit und auch die Ratten, die in einiger Entfernung hausten, ließen sie mutmaßen, dass sie sich in der Nähe des Tibers befand. Immer wieder hatte sie an die Entführung gedacht und versucht, sich jedes Detail ins Gedächtnis zu rufen. Es überraschte sie, wie viel ihre Sinne wahrgenommen und in ihrem Bewusstsein abgelegt hatten, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. In ihrem Gehirn musste es folglich geheime Kammern geben, die sie nur durch beharrliche Suche finden würde. Sie erinnerte sich jetzt auch, dass der Mann, der sie auf seinen Schultern vom Boot zu ihrem Gefängnis getragen hatte, sich nur ein kurzes Stück auf waagerechter Ebene bewegt hatte, während es anschließend eine Ewigkeit nach unten ging.
    Zum wiederholten Male untersuchte sie ihren Käfig. Wenn sie hier hinauskäme, dann hätte sie es geschafft. Der Gedanke allein sorgte dafür, dass neue Kraft in sie drang. Der Käfig selbst bildete ein Halbrund, dessen offene Seite von der Kellerwand abgeschlossen wurde. Das Eisengitter reichte bis zur Decke. Eine grobe Holzpritsche, auf der eine wollende Decke lag, diente zum Schlafen, und ein kleines Loch im Boden an der Mauer stellte den Abort dar. Selbst im Stadtgefängnis von Orvieto, in das sie der Vater einmal mitgenommen hatte, ging es den Gefangenen besser als ihr.
Lange wanderte ihr Blick an den Spitzen der Gitterstäbe entlang. Immer wieder schloss sie für kurze Zeit die Augen, um nicht Gespenster zu sehen. Es war anstrengend, die Dunkelheit zu durchdringen.
    Und dann fiel es ihr plötzlich auf. An einer Stelle schien sich zwischen Gitter und Decke ein schmaler Spalt zu befinden. Von unten ließ sich nicht ausmachen, wie groß er tatsächlich war, zumal sie ihn eher ahnte, als dass sie ihn sah.
    Was hatte sie schon zu verlieren? Sie beschloss, es zu wagen. Mit beiden Händen umfasste sie

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