Und taeglich grueßt die Evolution
für solche Situationen ein Grundrepertoire an Verhaltensweisen im Erbgut gespeichert ist, verbessern sich die Überlebenschancen enorm. Dieses instinktive Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Wie langlebig ererbte Erfahrungen sein können, zeigt eine ungewöhnliche Stichlingspopulation im US-Bundesstaat Washington. Die völlig schwarz gefärbten Tiere haben sich vor etwa 8000 Jahren aus der normalen rotbäuchigen Variante entwickelt. Und obwohl die dortigen Weibchen seither nie ein Männchen mit rotem Bauch zu Gesicht bekommen haben, tragen sie immer noch die Präferenzen ihrer Ahninnen in sich: Lässt man ihnen die Wahl zwischen Partnern mit rotem und schwarzem Bauch, entscheiden sie sich in fünf von sechs Fällen für die rote Variante.
Selbstmörderische Sturheit
Dieses sture Festhalten an ererbten Vorlieben bringt manche Art in ernsthafte Bedrängnis. Etliche Tiere haben beispielsweise einen angeborenen Drang, ihre Jungen an dem Ort ihrer eigenen Geburt zur Welt zu bringen – auch dann, wenn er als Kinderstube längst nicht mehr geeignet ist. So kommen jedes Jahr etwa 300 Weibchen der Unechten Karettschildkröte zur Eiablage an die Küste der griechischen Insel Zakynthos, die jährlich von etwa 300 000 Touristen bevölkert wird. Nächtlicher Lärm, die Lichter von Hotels und Tavernen sowie eine Phalanx aus Liegen und Sonnenschirmen schrecken viele Schildkröten so sehr, dass sie ihre Eier schon im Wasser ablegen, wo der Nachwuchs keine Entwicklungschance hat. Doch selbst aus den verscharrten Eiern an den Touristenstränden schlüpfen nicht immer junge Schildkröten, weil der Sand zu stark verdichtet ist oder von Sonnenschirmen beschattet wird. Und trotzdem kommen die Tiere Jahr für Jahr zurück, obwohl sie dadurch an den Rand des Aussterbens geraten.
Wenn die jungen Schildkröten trotz aller Widrigkeiten schlüpfen, wissen sie instinktiv, was sie als nächstes tun müssen. Nämlich dorthin kriechen, wo der nächtliche Horizont am hellsten schimmert, denn dort liegt das Meer. Auch anderen Tieren sind ihre frühesten Verhaltensweisen angeboren. Kleine Vögel sperren den Schnabel auf, wenn sie ihre Eltern sehen oder die Erschütterung eines landenden Vogels auf dem Nest spüren, Säugetiere beginnen instinktiv nach der Zitze der Mutter zu suchen. Auch menschliche Babys haben einen angeborenen Such- und Saugreflex, der sich vor allem in den ersten drei Lebensmonaten bemerkbar macht. Berührt man ein Kind in dieser Zeit an der Wange, den Lippen oder Mundwinkeln, dreht es den Kopf suchend in die Richtung, aus der die Berührung kommt. Hat es dann die Brustwarze gefunden, umschließt es sie mit den Lippen und beginnt zu saugen.
Och, wie süß! – Das Kindchenschema
Dieses Instinktverhalten macht nur Sinn, wenn die Eltern entsprechend reagieren. Deshalb gibt es auch bei Erwachsenen angeborene Muster, mit denen sie auf den Nachwuchs reagieren. »Och, wie süß!«, ist oft der erste Impuls beim Anblick eines Babys, eines Kätzchens oder eines Welpen. Offenbar senden kleine Kinder und Tiere Reize aus, die bei Erwachsenen bestimmte Emotionen wecken. »Kindchenschema« hat Konrad Lorenz diese unwiderstehliche Kombination aus großem Kopf und hoher, gewölbter Stirn, aus runden Wangen und kleinem Kinn, großen Augen und Stupsnase genannt, die bei fast allen Menschen das Bedürfnis weckt, sich um die hilflosen Wesen zu kümmern.
Diesen Effekt macht sich auch die Wirtschaft zunutze. Zahlreiche Werbespots arbeiten mit Bildern von Babys und Tierkindern – mit nachweisbarem Erfolg. Die Spielzeugindustrie fertigt niedliche Teddybären und andere Stofftiere mit runden Köpfen und Schnauzen. Nach den Beobachtungen des US-amerikanischen Biologen und Paläontologen Stephen Jay Gould wurde auch die Micky Maus im Laufe ihres Lebens immer kindlicher: 1928 war sie noch ein Tier mit erwachsenen Proportionen, doch mit der Zeit wurden die Ohren immer runder, der Kopf breiter, die Beine dicker und vielleicht auch deshalb die Comic-Maus immer beliebter.
Vorsicht, Gefahr!
Auch auf Gefahren reagieren Tiere und Menschen mit einem ausgeprägten Instinktverhalten. Viele Tiere verfügen über ein angeborenes Schema, an dem sie potenzielle Feinde erkennen. Hühnerküken flüchten beispielsweise vor Raubvogel-Silhouetten. Die typische Angst vieler Tiere vor dem Feuer scheint der Mensch zwar auf den ersten Blick weitgehend abgelegt zu haben, doch sobald der Geruch von Rauch unerwartet in die Nase steigt, werden die
Weitere Kostenlose Bücher