Und taeglich grueßt die Evolution
Anfang der 1980er Jahre ein viel beachtetes populärwissenschaftliches Buch namens »Chimpanzee Politics« (Unsere haarigen Vettern. Neueste Erfahrungen mit Schimpansen, 1983). Der Verhaltensforscher Frans de Waal beschrieb darin die sozialen Beziehungen einer Gruppe von etwa 20 Schimpansen im Zoo von Arnheim in den Niederlanden. Erst durch diese Veröffentlichung lernte die Öffentlichkeit die erstaunlichen politischen Fähigkeiten von Affen kennen.
Etwa ein Jahr, nachdem Frans de Waal mit seinen Beobachtungen begonnen hatte, beschlossen die Arnheimer Schimpansenmännchen, ihre Machtverhältnisse neu zu ordnen. Für den jungen Verhaltensforscher war das ein Glücksfall, denn er wurde Zeuge von Rücksichtslosigkeit, Verrat und zerbrechenden Bündnissen. »Als 32-Jähriger riskierte ich damals meine Karriere«, erinnert sich Frans de Waal. »Denn ich schrieb Tieren die Taktik eines Machiavelli zu. Dabei hatte man mir doch beigebracht, meinen Forschungsobjekten nie irgendwelche Emotionen oder Absichten zuzugestehen. Tiere mussten als seelenlose Maschinen beschrieben werden. An diese Regel hält sich allerdings auch niemand, wenn es um menschliches Verhalten geht. Und ich habe schon immer daran gezweifelt, dass es klug ist, so unterschiedliche Maßstäbe bei Arten anzulegen, die eine so lange gemeinsame Entwicklungsgeschichte haben.«
Das Machiavelli-Prinzip
Erst seit Frans de Waals Buch taucht in den Ausführungen von Affenforschern immer wieder der Name Machiavelli auf. Vorher wurde der italienische Staatsphilosoph vor allem dann zitiert, wenn es um rücksichtsloses Machtstreben menschlicher Politiker ging. Denn der 1469 geborene Niccolò Machiavelli plädierte in seinen Schriften immer wieder für das Prinzip »Der Zweck heiligt die Mittel«. So schrieb er in seinem 1532 erschienenen Werk »Der Fürst«: »Ein Herrscher braucht also nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll angesehen und von jedem gelobt.« Und obwohl sich Schimpansen in ihrem Verhalten normalerweise nicht an italienischen Politikern orientieren, scheinen sie das Machiavelli-Prinzip durchaus verinnerlicht zu haben. Diesen Schluss zieht Frans de Waal jedenfalls aus den Tausenden von Beobachtungsstunden in der Arnheimer Kolonie.
Rasch wurde dem Forscher klar, dass sich jeder Schimpanse bei Konflikten nur für bestimmte seiner Artgenossen in die Bresche wirft. Bei der Wahl dieser Koalitionspartner sind für Weibchen vor allem Verwandtschaft und »persönliche Sympathie« entscheidend. Diese Bindungen sind sehr stabil und bleiben oft über Jahre erhalten. Bei Männchen dagegen geht es weniger um Sympathie als um Macht. Sie treffen eine Art »geschäftliche Abmachung«, die beide Partner näher zu ihrem jeweiligen Ziel führen soll. Ähnliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es möglicherweise auch beim Menschen. Psychologen haben Männer und Frauen mit zahlreichen Spielen konfrontiert, die sie nur in Kooperation mit anderen gewinnen können. Dabei scheinen Männer ihre Partner häufiger nach deren Machtposition und nach strategischen Überlegungen auszuwählen, während Frauen eher nach der Person der Mitspieler entscheiden. Da sich die strategische Lage meist viel schneller ändert als persönliche Präferenzen, sind die Koalitionen der Schimpansenmännchen brüchiger als die der Weibchen. Denn zwei Affen, die gerade noch die engsten Verbündeten waren, können schon im nächsten Jahr zu erbitterten Konkurrenten werden und umgekehrt.
Putschversuche in der Affenkolonie
Wie oft die Fronten wechseln können, zeigte sich Ende der 1970er Jahre in Arnheim. Drei Jahre lang war Yeroen das unangefochtene Alpha-Tier der Kolonie. Dann aber schlossen sich Luit und Nikkie zusammen und sägten an seinem Thron. Unterstützung erhielt der bedrohte Herrscher in dieser Situation von den Weibchen. Eine solche Parteinahme des scheinbar schwachen Geschlechts kann in Auseinandersetzungen durchaus wertvoll sein. Das scheinen auch die Männchen zu wissen. Jedenfalls hat Frans de Waal in Zeiten von Führungskrisen und Rangkämpfen immer wieder beobachtet, dass sich die darin verwickelten Männchen besonders um die Gunst der Weibchen bemühen. Sie pflegen ihnen ausgiebig das Fell und spielen geduldig mit den Kindern. Der Verhaltensforscher fühlt sich an das Verhalten von Präsidentschafts-Kandidaten erinnert, die sich im Wahlkampf mit kleinen Kindern fotografieren lassen und plötzlich ein offenes Ohr für
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