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Und tot bist du

Und tot bist du

Titel: Und tot bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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besser aufpassen sollen …
    Diese Stimme. Dieser Tonfall. Das habe ich schon einmal gehört, dachte Sunday, zu mir hat er dasselbe gesagt –
    er hat gesagt, ich hätte besser aufpassen sollen.
    Langsam entstand ein Bild vor ihrem geistigen Auge wie ein Photo im Entwicklungsbad. Es war im Gerichtssaal geschehen. Damals hatte sie Wallace ›Turnschuh‹
    Klint verteidigt, einen Angeklagten aus der langen Reihe von armen Schluckern, die sie in ihren ersten Jahren als Anwältin vertreten hatte. Sunday hatte sich entschlossen, Pflichtverteidigerin zu werden, weil sie fest daran glaubte, daß jeder Mensch das Recht auf eine faire Verhandlung hatte. Und das bedeutete natürlich, daß jeder einen Anwalt brauchte. Dem Fall Klint hatte sie wenig abgewinnen können. Der Mann war zwar des Mordes angeklagt gewesen, doch sie hatte die Geschworenen überzeugt, ihn nur für Totschlag zu verurteilen. Das bedeutete, daß er zwanzig Jahre später als Sechzigjähriger entlassen werden würde.
    Der Prozeß hatte nicht sehr lange gedauert, wahrscheinlich auch deshalb, weil die Staatsanwaltschaft nicht viel vorzuweisen hatte. Sunday erinnerte sich, daß Klints älterer Bruder der Verhandlung einige Tage beigewohnt hatte.
    Wieder sah sie den Entführer an. Kein Wunder, daß ich ihn nicht erkannt habe, dachte sie, wobei sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen. Damals hatte Klints Bruder langes, strähniges Haar und einen Bart und wirkte wie ein alternder Hippie. Richtig, er hatte sich als Revolutionär gebärdet, und sie erinnerte sich deshalb so genau daran, weil sie erwogen hatte, ihn als Zeugen aufzurufen. Doch sie war zu dem Schluß gekommen, daß er ihrem Mandanten eher schaden würde.
    Sunday rief sich den Tag ihres Gesprächs ins Gedächtnis. Sie hatte den Gerichtssaal verlassen, und er war ihr gefolgt, als sie den Flur entlang auf die Aufzüge zuging.
    Er hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt, und sein Ring war ihr sofort aufgefallen.
    Er hatte gesagt, das Urteil bedeute für seine Mutter den Tod. Sie würde den Tag, an dem ›Turnschuh‹ freikam, nicht mehr erleben. Und dann hat er mir vorgeworfen, ich hätte besser aufpassen sollen, dachte sie.
    Damals klang das nicht wie eine Drohung. Sunday hatte den Kerl einfach für einen Idioten gehalten, denn eigentlich hätte er ihr die Füße küssen sollen, weil sie seinen ungeratenen Bruder vor der Todesstrafe bewahrt hatte. Ihr hatte ›Turnschuh‹ es zu verdanken, daß er statt dessen im Gefängnis von New Jersey Nummernschilder für Autos anfertigen durfte.
    Also war dieser Mann sein älterer Bruder. Und die Frau oben mußte die Mutter sein. Aber er durfte auf keinen Fall bemerken, daß sie ihn durchschaut hatte.
    Doch als sie versuchte, die Einzelheiten zu einem Bild zusammenzufügen, ergaben sie einfach keinen Sinn. Was hatte ›Turnschuh‹ Klints Bruder mit dem internationalen Terrorismus zu tun? Ihre Entführung war offenbar professionell geplant gewesen, der Mann vor ihr wirkte hingegen eher wie ein geistig verwirrter Einzelgänger.
    Endlich hatte sie die Arme frei, zog sie vor die Brust und massierte sie.
    Der Entführer lockerte ihre Fußfesseln. Als sie aufstand, gaben ihr die Beine nach. Wieder grübelte Sunday nach.
    Sein Name? Wie hieß er? Es hatte doch in den Gerichtsakten gestanden. Ein ungewöhnlicher Vorname, der mit einem ›W‹ anfing.
    Warfield … Woolsey … Wexler? Genau!
    Wexler Klint. Sie mußte einen Freudenruf unterdrücken.

    »Moment, ich helfe Ihnen.« Wexler Klint legte ihr den Arm um die Taille. Sie zwang sich, nicht zusammenzuzucken, als er ihre Hüfte berührte. Er führte sie zur Toilette, brachte sie danach zurück und fesselte sie erneut an den Stuhl. Ihre Hände ließ er frei, bis sie das sogenannte Frühstück verzehrt hatte – trockene Getreideflocken und schwarzen Kaffee.
    Reglos stand er daneben und sah ihr beim Essen zu. Als sie fertig war, nahm er das Tablett an sich und fesselte ihr dann sorgfältig die Hände auf dem Rücken. Er schaltete den Fernseher ein. »So vergeht die Zeit schneller«, sagte er leise. »Jovunets Ansprache kommt um elf.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Sie sind noch immer die Titelstory, und ich vermute, daß sich die Medien noch eine Weile für Sie interessieren werden. Denken Sie nur, Sie haben jetzt einen Platz in der Geschichte, und das haben Sie nur mir zu verdanken.«
    Sunday antwortete nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt zuzusehen, wie Henry eilig zu einem wartenden

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