Und trotzdem ist es Liebe
bezahlen. Außerdem versuche ich, meine spätabendliche Lektüre zum großen Teil im Büro zu erledigen, damit Jess in ihrem Apartment ein bisschen Zeit für sich allein hat. Ich habe schon immer bis weit in den Abend hinein gearbeitet, aber nie mit so viel Schwung – das kommt noch dazu. Ich hole meine Pflichtlektüre auf, und ich hake Aufgaben ab, die seit Monaten auf ihre Erledigung warten. Sogar mein Schreibtisch ist zum ersten Mal seit Jahren aufgeräumt. Meine langjährige Assistentin Rosemary sieht es mit Staunen.
«Gibt’s einen besonderen Anlass?», fragt sie.
«Ich lasse mich scheiden», sage ich.
«Das tut mir leid.» Mehr sagt sie dazu nicht. Rosemary ist ebenso diskret wie ordentlich.
«Muss es nicht», sage ich. «Mein Büro hatte es nötig.»
Natürlich soll das ein Witz sein, aber ich spüre tatsächlich, dass es eine therapeutische Wirkung hat, mich in meine Arbeit zu stürzen und irrsinnige Überstunden zu machen. Ich sage mir, dass es auch Vorteile hat, wieder solo zu sein. Ich werde sein wie jemand, der einen lieben Menschen verloren hat und daraufhin eine Stiftung gründet. Ich werde etwas Gutes aus diesem Verlust machen. Ich werde etwas geschehen lassen, das sonst nicht geschehen wäre. Ich nehme mir vor, große Träume zu haben und mir hohe Ziele zu setzen. Vielleicht werde ich eines Tages ein eigenes Imprint haben: Claudia Parr Books . Etwas, das es niemals gegeben hätte, wenn ich mit Ben ein Kind bekommen hätte. Etwas, das vielleicht nicht einmal passiert wäre, wenn ich mit Ben zusammengeblieben wäre, selbst ohne Kind nicht. Mir gefällt die Vorstellung, dass Ben in der Buchhandlung stöbert und sieht, wie mein Name auf den Buchrücken prangt. Vielleicht werde ich sogar ein Coffeetable-Book über Architektur machen. Dann wird er es sicher sehen.
Einstweilen sprechen Ben und ich in den ersten paar Wochen der Trennung sehr wenig miteinander, und wenn wir es tun, sagen wir beide nicht allzu viel. Oft gibt es verlegene Schweigepausen oder zögernde Fragen nach Post und Rechnungen und den Terminplänen des anderen. Es ist klar, dass wir nicht mehr gleichzeitig in unserer Wohnung sein wollen. Wir wechseln ein kurzes «Wie geht’s?» und antworten knapp und sofort, dass es uns gut geht, ganz prima. Wir sind beide stolz, stur und gespenstisch distanziert. Ich denke mir, dass wir vielleicht beide mauern, uns gegenseitig hinhalten und bluffen. Zumindest hoffe ich, dass es so ist, aber tief im Innern weiß ich, dass wir uns einander irreparabel entfremden, und ich merke Ben an, dass er es auch weiß.
Am Ende eines solchen Gesprächs seufzt Ben und sagt: «Ich will nur, dass du glücklich bist, Claudia. Das ist alles.»
Es fällt total aus dem Zusammenhang, denn ich habe ihm gerade erzählt, dass ich unseren Anrufbeantworter abgehört habe und dass seine Tante zweimal angerufen hat.
«Ja, genau», sage ich sehr leise.
«Nochmal, bitte?» Das ist eine Frage, die mich immer genervt hat. Ben drückt sich nur dann so aus, wenn er sehr wohl verstanden hat, was ich gesagt habe, und wenn es ihm nicht gefällt.
«Es ist offensichtlich nicht das Einzige, was du willst», sage ich und sehe ihn vor meinem geistigen Auge mit einem kreischenden Baby auf dem Arm.
Darauf sagt er nichts, und uns beiden wird klar, dass er darauf nichts sagen kann . Mich durchströmt ein seltsames kleines Gefühl des Triumphs und der Genugtuung. Es fühlt sich immer gut an, wenn es einem gelungen ist, mit einer kurzen Pointe klarzumachen, worum es geht.
«Tja, bis dann», sage ich, um es ihm zu zeigen.
«Ja», sagt Ben knapp. «Bis dann.»
Ich lege auf und vereinbare sofort einen neuen Termin mit meiner Anwältin, Nina Raden. Nina ist eine auffallende, abgebrühte, rigorose Person, wie man sie vor sich sieht, wenn man Billy Joels «She’s Always A Woman» hört. Ihre Lippen sind mit Collagen aufgepumpt, und ihr häufiges Lächeln steht in krassem Gegensatz zu ihrem offenkundigen Wunsch, meine Scheidung so wenig friedlich zu gestalten, wie es nur geht. Ich sehe ihr an, dass sie ihre Brötchen damit verdient, den Cheerleader für gekränkte Frauen in ganz Manhattan zu spielen. Ich wette, sie hat in ihrem ganzen Leben nicht so oft «Guten Morgen» gesagt wie «Das Schwein machen wir fertig».
Bei unserem zweiten Termin muss ich ihr dreimal sagen, dass ich keinen Privatdetektiv engagieren will; ich sei sicher, dass es in Bens Leben keine andere Frau gebe. An Trennungen unseres speziellen Genres ist sie offensichtlich
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