Und trotzdem ist es Liebe
meine Knie werden weich. Ich will lächeln, aber ich kann es nicht. Ich weiß nicht, wo ich meine Hände lassen soll. Ich wünschte, ich hätte schon etwas zu trinken. Annie und Ray wechseln einen Blick und verschwinden, um neue Gäste zu begrüßen.
«Wie geht’s dir?», bringe ich hervor, und mein Blick fällt auf Bens nackten Ringfinger.
«Gut. Und dir?»
Ich sage, dass es mir auch gut gehe, und beobachte Richard aus dem Augenwinkel. Er dreht sich gerade um, sieht mich mit Ben und wendet sich wieder zum Fenster, ein Glas Champagner in jeder Hand. Aus dem einen trinkt er. Sicher weiß er, dass ich mit meinem Exmann spreche.
«Schön, dich zu sehen», sagt Ben aufrichtig.
«Gleichfalls», sage ich. Und es stimmt.
«Ich bin froh, dass du gekommen bist», sagt er. «Ich war nicht sicher, ob du hier sein würdest.»
Ich werfe einen Blick zu Richard hinüber, der immer noch aus dem Fenster schaut.
«Ich war auch nicht sicher, ob du kommen würdest», sage ich.
«Ach, na ja, ich bin Raymonds … äh, Patenonkel», sagt er ernst.
«Oh. Das wusste ich nicht. Was für eine Ehre.»
«Ja», sagt Ben. «Ist ziemlich cool.»
Ich lächle, aber ich bekomme einen verrückten Anfall von Eifersucht – fast wie auf der High School, wie damals, als meine beste Freundin Pam ins Gefolge der Homecoming Queen gewählt wurde. Wir klebten ständig zusammen – wir glichen uns sogar. Die Leute fragten immer, ob wir Schwestern oder sogar Zwillinge wären. Warum also war sie gewählt worden und ich nicht? Jetzt empfinde ich das Gleiche: Ich frage mich, warum Annie und Ray Ben genommen haben – und mich nicht. Weil ich keine Kinder haben will? Weil sie sich auf Bens Seite gestellt haben? Weil ich eine schlechte Freundin gewesen bin? Aber vielleicht war ein Patenonkel auch schwerer zu finden als eine Patentante. Ray und Annie haben beide keine Brüder.
In diesem Moment löst Richard sich vom Fenster und fängt an, mit einem Mann zu plaudern, den ich nicht kenne. Gut , denke ich, dann habe ich noch einen Augenblick . Obwohl ich nicht weiß, was ich als Nächstes sagen soll.
Und dann kommt sie. Meine intergalaktische Frage. «Tucker hast du also nicht mitgebracht?»
Sofort bereue ich es. Er hat sie offensichtlich nicht mitgebracht, denn sie ist nicht da. Und außerdem klingt es neugierig und kleinkariert und eifersüchtig.
«Nein», sagt Ben mit einem halben Lächeln.
Der einzige denkbare Nutzen meiner Frage hätte darin bestehen können, dass sie den Status seiner Verhältnisse klärt. Aber seine Antwort verrät mir nichts. So stehe ich jetzt nur mit beiden Füßen im Fettnapf.
Ich sehe, dass Richard mit seinem neuen Freund fertig ist. Er schaut mit hochgezogenen Brauen zu mir herüber: Ich will keinen Druck machen – aber soll ich kommen? Ich nicke. Jede andere Reaktion wäre unhöflich, selbst bei jemandem, der so relaxt und flexibel wie Richard ist. Er kommt gerade auf uns zu, als Ben sagt: «Wie ich sehe, bist du auch allein hier.»
Eine Sekunde später ist Richard bei mir und reicht mir das Champagnerglas. Die Geste ist eindeutig, aber Ben sieht ratlos aus, als könne er Richard nicht unterbringen. Was er auch nicht kann, denn die beiden sind sich nie begegnet.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: «Ben, das ist Richard Margo. Richard, Ben Davenport.»
«Hi, Ben. Freut mich», sagt Richard.
Eine dunkle Wolke zieht über Bens Gesicht, als er den Namen registriert. Ich weiß, dass er meine Top-Five-Liste aus dem Verlag nicht vergessen hat. Er weiß genau, wer Richard ist, und das macht ihn nicht glücklich. Und er streckt auch nicht die Hand aus. Er zuckt zurück, und sein Gesicht wird völlig ausdruckslos. Ein paar Sekunden verstreichen, bevor er ein sehr kühles «Guten Tag» hervorbringt. Er wirft mir einen Seitenblick zu. Er weiß, dass ich verstehe, was dieses «Guten Tag» bedeutet.
Bens Mutter Lucinda hat die zweite Frau ihres Ehemanns so begrüßt – eine Frau, die so gut wie alles mit dem Ende ihrer Ehe zu tun hatte. Jahrelang hatte Lucinda sich den Kopf darüber zerbrochen, was sie zu Ehefrau Nummer zwei sagen würde, wenn sie irgendwann das Pech haben sollte, ihr zu begegnen. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie wollte auch nicht lügen und eine der üblichen Wendungen wie «Freut mich, Sie kennenzulernen» benutzen. Ben erinnert sich, dass seine Mutter regelrecht triumphierend aussah, als sie erkannte, dass ein knappes «Guten Tag» genau das Richtige war. Er erzählte mir diese
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