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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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die Tierklinik«, sagte der Commissaris. Das Handy vibrierte an seiner Brust, und er holte es aus der Sakkotasche und meldete sich.
    »Hier spricht Doktor Ten Damme«, sagte die Stimme an seinem Ohr. »Von De Bleerinck .«
    Van Leeuwen wusste, wer Ten Damme war, aber der Arzt hatte ihn noch nie angerufen. Er spürte, wie sein Herz aussetzte. »Ist etwas mit meiner Frau? Geht es ihr schlechter?«
    »Nein, nicht schlechter«, sagte Ten Damme. »Es ist nur etwas Merkwürdiges ... Wann wollten Sie uns denn das nächste Mal besuchen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Van Leeuwen. »Ich hatte vor, am Sonntag zu fahren. Ist es etwas Dringendes?«
    Ten Damme schwieg. Er schien zu überlegen, nach der richtigen Formulierung zu suchen. »Ich habe das Gefühl, Sie will Ihnen etwas sagen. Sie geht hin und her und sagt dauernd: Muss nach Hause, muss jetzt gehen . Sie packt ihren Koffer und packt ihn wieder aus und fragt ihre Mitbewohnerinnen, wann kommt mein Mann? «
    »Ich komme noch heute Abend«, sagte Van Leeuwen.

9
    Für einen Polizisten gab es keinen schlimmeren Moment als diesen: Man klingelte an einer Tür, und eine Frau oder ein Mann oder manchmal auch ein Kind öffnete, und man sah in die Gesichter, und die Nachricht, die man überbringen musste, lag einem wie Blei im Magen, und oft veränderten sich die Gesichter, noch ehe man etwas gesagt hatte, und es war sogar dann noch schlimm, wenn niemand den Toten geliebt hatte, wenn niemand weinte oder schrie oder plötzlich zu Boden sank.
    Mevrouw, Mijnheer, Ihr Mann, Ihre Frau, Ihre Tochter, Ihr Sohn, Ihr Vater ...
    Jeder Polizist fürchtete diesen Augenblick, aber erst seit Simonekrank geworden war und die Ärzte gesagt hatten, dass sie wahrscheinlich nicht mehr lange leben würde, wusste Van Leeuwen, wie es auf der anderen Seite der Tür aussah. Jedes Mal, wenn sein Telefon klingelte, durchfuhr ihn ein Schreck, und er hatte Angst vor der Stimme an seinem Ohr, vor den Worten: Mijnheer, Ihre Frau ... Es ging ganz schnell ...
    Im Osten ragten die neuen Hochhaustürme vom Piräus-Kai und Java-Eiland über dem stillgelegten Hafen in den violetten Abendhimmel. Die verspiegelten Fassaden warfen sich die Strahlen der untergehenden Sonne zu, und Van Leeuwen dachte, dass die kupfern und orangefarben glühenden Gebäude aussahen, als wären sie eigentlich für Miami gebaut worden, mit den lachsfarbenen Wolken dahinter und den Palmen auf den Dächern. Auf der Stadtautobahn ergoss sich ein Lavastrom aus roten Rücklichtern über die Oosterdoks. Die Dämmerung setzte ein, und als er aus der Stadt heraus war, hatte der Commissaris den Sonnenuntergang im Rückspiegel.
    Er fuhr auf der N 247 in Richtung Edam nach Norden. Immer wenn er Simone besuchte, war es wie eine Fahrt durch sein ganzes Leben, bis zurück zu jenem Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte: ein Mädchen mit einer roten Windjacke auf einem Fahrrad im strömenden Regen. Er fuhr über das flache Land, über die satten grünen Polder und vorbei an Windmühlen und blühenden Tulpenfeldern im Abendrot, und dabei dachte er, das ist das Land, in dem sich alles abgespielt hat, unser ganzes Leben.
    Am Anfang war es hart gewesen, und jetzt war es wieder hart. Am Anfang war er ein Kind gewesen, aber nicht sehr lange, denn seine Eltern hatten einen Bauernhof, und schon bevor er in die Schule kam, musste er ihnen zur Hand gehen, besonders zur Erntezeit oder am Schlachttag. Hin und wieder durfte er auf dem Traktor mit-fahren und auf dem Bock des Heuwagens, doch die meiste Zeit schleppte er Sensen oder Futtersäcke oder stapfte hinter der Egge her. Pferde, Schweine, Kühe und Gänse gehörten zu dieser Kindheit genauso wie Staub und Erde in den Ohren, in den Haaren, unter den Kleidern, in den Gummistiefeln. Im Sommer musste er zu Bett gehen, wenn es noch hell war, und aufstehen in der Dunkelheit,bevor der Tag anbrach. Der Winter war eine einzige Kette eiskalter Nächte.
    Seine größte Freude war es, sich zu verstecken. Er ging in den Wald, zum Amstelufer oder auf den Friedhof, an geheime Orte, wo ihn niemand fand. Er saß an einem kleinen Weiher im Wald und beobachtete die Libellen. Er warf Steine in die Amstel und sah zu, wie sie untergingen. Er schlenderte unter den Trauerweiden auf dem Friedhof umher, zwischen den Kreuzen, und unterhielt sich mit den Grabsteinen. Er träumte.
    Die Amstel war an dieser Stelle ein breiter, mächtiger Fluss, der sich in seinem steinigen Bett zwischen den schilfbestandenen Ufern dahinwälzte. Sein

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