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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Zettel mit Ellens Handschrift, und noch ehe er gelesen hatte, was darauf stand, dachte er, jetzt ist es passiert. Irgendwann musste es passieren, und jetzt ist es so weit.
    Er schaltete das Dielenlicht ein und las den Zettel.
    Mijnheer,
    Ihre Frau hat sich verletzt, aber nicht schwer. Ich habe den Notarzt gerufen. Wir bringen sie in die nächste Klinik, und ich gebe Ihnen dann so schnell wie möglich Bescheid, wo sie ist. Ihr Handy ist kaputt. Ellen.
    Das Telefon blieb stumm. Er wusste nicht, was er tun sollte, außer Ellen um Verzeihung zu bitten für alles, was er ihr abverlangte. Ohne sie, ohne jemanden wie sie, hätte er Simone schon längst weggeben müssen. Er überlegte, ob er die Kollegen bitten sollte, herauszufinden, in welches Krankenhaus man seine Frau gebracht hatte, aber dazu waren sie nicht da, und wenn Ellen sagte, es war nicht schlimm, dann war es auch nicht schlimm. Was konnte schon schlimmer sein als das, was er jeden Tag hatte.
    Er holte einen Eimer und einen Wischlappen aus der Küche, legte sein Jackett ab und krempelte die Ärmel hoch. Dann kniete er sich hin und begann, die Begonien wieder einzutopfen. Er hörte nicht, wie der Schlüssel in die Wohnungstür geschoben wurde. Plötzlich stand Ellen im Raum und sagte: »Regen Sie sich nicht auf.«
    »Ich rege mich nicht auf«, sagte er und zwang sich, nicht aufzustehen.
    »Es geht ihr gut«, sagte Ellen, »den Umständen entsprechend. Sie hat sich den Oberschenkel gebrochen. Sie wollte die Blumen da gießen. Ich habe einen Moment lang nicht hingeschaut. Sie ist in dem verschütteten Wasser ausgerutscht. Die Ambulanz hat sie in die Klinik gebracht. Sie schläft jetzt. Morgen früh können Sie sie besuchen.«
    »Ich werde sie gleich nachher besuchen«, sagte Van Leeuwen und drückte die Erde um die Narzisse fest, nicht zu fest, damitdie Wurzeln atmen konnten. Ellen trat ans Fenster, unternahm aber keinerlei Anstalten, ihm zu helfen. Sie trug Turnschuhe, Jeans, einen offenen Sommermantel und ein nach Piratenart gebundenes Kopftuch. In dem spärlichen Licht des Abendhimmels wirkte sie verändert, anders als die Ellen, die er kannte. Er entdeckte einen harten Zug um Mund und Augen, den nicht einmal das Zwielicht mildern konnte.
    Sie ist eine schöne Frau gewesen, dachte er überrascht, bis vor kurzem noch. Jetzt waren die Konturen ihres Gesichts schärfer geworden, und sie wurden durch ein schlechtes Make-up unvorteilhaft betont, aber der leicht gereizte, etwas verwirrte Ausdruck in ihren grün schimmernden Augen verriet, dass sie noch nicht bereit war, sich mit dem Verlust dieser Schönheit abzufinden. Eine Strähne ihres kupferroten Haars hing unter dem Kopftuch hervor.
    Van Leeuwen stellte sich vor, wie Ellen die Strähne um den Zeigefinger wickelte, wenn sie mit einem Mann flirtete, wie sie die kaum geschminkten unruhigen Augen niederschlug und den Blick wieder hob. Sofort hatte er eine Erklärung für das Schlampige, eigenartig Provisorische, von dem sie heute Abend umgeben war: Wie sie angezogen, frisiert und geschminkt war, war ihr nicht gleichgültig, es war vielmehr ein Lockruf. Ich fühle mich am wohlsten im Bett, ohne Kleider, mit zerwühltem Haar, sagte das alles, komm, lass uns gehen. Ihr Mund war bereit, zu lächeln, bereit, geküsst zu werden; doch den bitteren Ausdruck würde niemand fortküssen können.
    Unsinn, dachte Van Leeuwen; das ist Ellen, die Pflegerin deiner Frau, die gerade von ihrem Krankenbett kommt. Als Mann interessierst du sie nicht, sie mag dich nicht einmal. Warum hat sie nicht einfach angerufen ?
    »Ich hätte Sie anrufen können«, sagte Ellen und verwies mit einem angedeuteten Schulterzucken auf den Apparat in der Diele, »aber dann dachte ich, es ist persönlicher, wenn ich einfach ins kalte Wasser springe und rüberschwimme.«
    »In welches kalte Wasser ? Wo rüber ?«, fragte Van Leeuwen und griff nach dem nächsten Blumentopf.
    »Zu Ihnen, zu Ihrer Insel«, sagte Ellen. »Zu der es keine Brücke gibt.«
    »Dazu ist sie zu klein«, sagte Van Leeuwen.
    Ellen sah aus dem Fenster. »Merkt man daran, dass man alt wird ? Dass man sich hinter dem Wörtchen zu versteckt ? Dass man nicht mehr warten will ? Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, alt zu werden ... Das Schöne am Alter ist doch das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit, oder ?«
    »Aber gleich danach kommt das Wissen um die Unzulänglichkeit der anderen«, sagte Van Leeuwen.
    »Genau deswegen bin ich hier«, sagte Ellen. »Ich kenne nur wenige Menschen,

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