Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Sie gewesen.«
»Weiß ich, dass er tot ist ?«, fragte Julika. »Brauche ich dringend was?«
»Nein, Sie sind auf der Hut. Sie reden mit niemandem, Sie warten ab, ob jemand auf Sie zukommt. Versuchen Sie einfach, kaputt und verloren auszusehen, aber so, als wollten Sie, dass niemand es merkt.«
»Dafür wurde ich geboren«, sagte Julika und verschwand.
Van Leeuwen betrat das Vorzimmer, das er schon so oft betretenhatte. Es kam ihm vor, als stiege er in eine Zeitmaschine, und er wusste, was Terlindens Sekretärin sagen würde, bevor sie es aussprach: »Der Professor hat gleich Zeit für Sie, Mijnheer.« Er nickte und setzte sich auf einen der beiden Stühle an der Wand neben der Tür. Es war ein merkwürdiges Gefühl, allein hier zu warten, ohne seine Frau neben sich. Als hätte die Zeitmaschine beim Aussteigen einen Teil von ihm behalten.
Ein Jahr, dachte er; was für einen Unterschied ein Jahr macht. Vor etwas mehr als zwölf Monaten war er zum ersten Mal hier gewesen, nur besorgt damals, noch nicht ängstlich, und auf dem zweiten Stuhl hatte Simone gesessen und seine Hand gehalten, so fest, dass es schmerzte. In den Wochen davor waren sie mehrmals bei ihrem Hausarzt gewesen, der nichts gefunden hatte, keine Entzündung, keinen Krankheitsherd. Erst beim letzten Besuch war er auf die Idee gekommen, Simone zu fragen, wie der Name der Königin lautete.
»Welche Königin ?«, hatte Simone gefragt.
»Die Königin der Niederlande.«
Simone hatte erst den Arzt, dann Van Leeuwen lange angeschaut, und dann hatte sie zum Fenster hinübergesehen. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ist das wichtig ?«
Der Arzt hatte sie in die Universitätsklinik überwiesen, und nur wenige Tage später war sie zu ihrem ersten Termin in der Neurologischen Abteilung bei Professor Terlinden bestellt worden. Van Leeuwen hatte sich freigenommen, um sie zu begleiten. Er sah sie wieder neben sich sitzen. Er sah sie auch in dem Raum jenseits der Tür sitzen, vor dem Schreibtisch des Professors, sehr gerade auf einem schlichten Stuhl und aufmerksam wie ein braves Kind. Er hörte die Fragen, die der Neurologe ihr stellte. Er sah die Gegenstände, die Terlinden auf seinem Schreibtisch ausbreitete – einen Bleistift, einen Terminkalender, einen Apfel, eine Geldmünze.
»Wie heißen Sie, Mevrouw ?«, fragte der Arzt.
Simone lächelte, denn es war keine sehr intelligente Frage. »Simone Antoinette«, sagte sie.
»Antoinette – ist das Ihr Nachname ?«, wollte der Arzt wissen. »Simone Antoinette«, wiederholte Simone.
»Antoinette ist ihr zweiter Vorname«, sagte Van Leeuwen, der auf einer schmalen Couch in einer Ecke neben dem Fenster saß.
Terlinden warf ihm einen warnenden Blick zu. Bitte, verhalten Sie sich ruhig. »Wie lautet Ihr Nachname ?«, fragte er Simone noch einmal.
Sie schwieg.
Der Arzt fragte: »Sind Sie verheiratet ?«
Simone nickte zögernd.
»Und wie heißt Ihr Mann ?«
Simones Rücken wurde steif. Van Leeuwen spürte, wie seine Augen zu schmerzen begannen. Rücken lügen nie, dachte er. Sie suchte nach seinem Namen. Sie suchte, und ihr Nacken begann zu zittern. »Simone«, sagte sie.
Terlinden deutete auf einen Bleistift vor sich auf der Schreibtischplatte. »Was ist das ?«
»Ein Bleistift«, sagte Simone.
»Und das ?« Er berührte den Apfel mit seinem Zeigefinger. »Apfel.«
Jetzt legte er den Zeigefinger auf den Terminkalender. »Und was ist das ?«
Simone beugte sich vor. »Notizbuch«, sagte sie.
»Gut, sehr gut«, sagte der Arzt. »Merken Sie sich diese Begriffe, bitte.« Er gab ihr eine aufgeschlagene Zeitung. »Lesen Sie mir die unterstrichenen Wörter vor.«
Simone beugte sich über die Zeitung. »Lebens-«, begann sie, »Lebensver-« Sie hielt inne und begann aufs Neue. »Lebensver- ... Lebensverrichtung-... nein, gleich... Lebensversicherung-... -rungs-... Lebensverrungspoli- .. .« Sie schien den Atem anzuhalten, und Van Leuwen merkte, dass er selbst zu atmen aufgehört hatte. »-police«, sagte sie und ließ die Zeitung sinken. »Kann ich jetzt gehen ?«, fragte sie leise.
»Gleich«, sagte der Arzt. Er schob den Bleistift und ein Blatt Papier in ihre Richtung. »Schreiben Sie mir bitte Ihren Namen auf«, sagte er.
»Meinen Namen ?«Der Arzt nickte. »Frau – ?«
Sie besann sich einen Moment lang, dann schrieb sie.
Terlinden beugte sich vor, um zu lesen, was sie geschrieben hatte. »Und jetzt zeichnen Sie das Zifferblatt einer Uhr.«
Simones Nacken begann wieder zu zittern, als wären ihre
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