Und was, wenn ich mitkomme?
Frühstück.
Gernika ist am 26. April 1937, also vor fast 71 Jahren, von der deutschen Legion Condor beinahe vollständig vernichtet worden, vordergründig, um unter dem Oberbefehl von General Franco in den Spanischen Bürgerkrieg einzugreifen. In unserem Wanderführer steht aber auch, dass die Deutschen ihr neues Kriegsgerät und ihre moderne Taktik des Luftkrieges ausprobieren wollten, als Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg. Kein Grund, besonders stolz auf unsere Nation zu sein. Pablo Picasso hat dieses entsetzliche Grauen in seinem berühmten Bild »Guernica« festgehalten. Anfang 2003 wurde in Gernika ein Friedensmuseum eröffnet, das die Geschichte der Bombardierung, die Menschenrechte und die baskischen Konflikte thematisiert. Wir hätten es gerne besichtigt. Aber für heute haben wir andere Pläne.
Vor der Reise haben Pit und ich in einem Merian-Heft über Nordspanien eine Abbildung der Einsiedelei San Juan de Gaztelugache bei Bermeo in der Nähe von Bilbao entdeckt: Eine kleine Kirche auf einem Felsen mitten im Meer, zu der mindestens 300 Stufen hinaufführen und die nur über eine gemauerte Brücke zu erreichen ist, die sich in riesigen Rundbögen über das Meer spannt und uns in ihrer Bauart an die Chinesische Mauer erinnert. Das Foto hat mich so fasziniert, dass ich mir vorgenommen habe: Sollte auch nur die geringste Chance bestehen, dann besuche ich diesen Ort. Und diese Chance ist jetzt da.
Am Bahnhof von Gernika trennen wir uns von Christian. Er steigt in den Zug nach Bilbao, um sich die Stadt anzuschauen und für uns vier ein Zimmer in der Jugendherberge zu reservieren. Pit, Doris und ich nehmen den Zug nach Bermeo. Eine liebliche Landschaft zieht an unserem Fenster vorüber, und innerhalb einer knappen Stunde sind wir am Ziel. Vor zwei Tagen, kurz hinter Deba, haben wir das Meer verlassen. Jetzt sehen wir es endlich wieder. Bermeo hat eine hübsche kleine Altstadt, die sich aber nur Doris anschaut. Pit und ich wollen zur Einsiedelei. Nur liegt die noch ca. acht Kilometer von Bermeo entfernt. Na toll! Busse fahren keine, weil es noch zu früh im Jahr ist. Die Touristen kommen erst irgendwann Mitte Mai. Acht Kilometer Fußweg würden uns nicht schrecken. Aber der halbe Tag ist bereits vorbei, und wir wollen ja auch noch Zeit auf der Einsiedelei verbringen. Und den Weg zurück müssten wir auch noch laufen. Nein, so wird das nichts. Aber wo wir nun schon mal so weit gekommen sind, wollen wir auch nicht aufgeben. Wir entschließen uns, ein Taxi zu nehmen, von denen einige am Rand der Plaza parken. Forsch geht Pit auf einen Fahrer zu und versucht mit Händen und Füßen, ihm unser Anliegen zu vermitteln. Der gute Mann stellt sich erst stur, und es dauert eine ganze Weile, bis er endlich mit ein paar Brocken Englisch herausrückt, die die Unterhaltung wesentlich voranbringen. Die Fahrt hin und zurück soll für uns beide 24 Euro kosten. Das ist im Vergleich zu den Bahnpreisen horrend hoch. Aber wir sind uns sicher: Diese 24 Euro sind gut angelegtes Geld.
Unser Taxifahrer entpuppt sich als sehr freundlicher Mensch. Redselig erklärt er uns die ganze Umgebung, ohne dass wir ein einziges Wort verstehen, was ihn aber nicht im Mindesten stört. Auf einem Parkplatz mitten in der Landschaft setzt er uns aus, zeigt erst auf seine Uhr und streckt dann vier Finger in die Höhe. Abholzeit vier Uhr — glauben wir wenigstens. Unser Fahrer möchte unsere Rucksäcke in seinem Kofferraum verstauen. Aber so weit reicht unser Vertrauen dann doch nicht. In Erinnerung an Ingo und seine Verlusterfahrungen behalten wir unser Gepäck lieber bei uns. »Agua« (Wasser), sage ich und tippe erklärend auf meinen Rucksack. Kopfschüttelnd nimmt der Taxifahrer unsere Entscheidung hin, klettert in seinen Wagen und lässt uns allein zurück. Was, wenn er nicht wiederkommt? Pit winkt ab. »Er wird schon. Und bis dahin machen wir es uns richtig schön.« Wir sind jetzt eine Woche unterwegs. Aber dies sind die ersten Stunden, die wir ganz und gar für uns allein haben.
Hand in Hand steigen wir die steilen Serpentinen zum Meer hinunter. Schon von der Straße aus sehen wir die kleine, im Sonnenlicht strahlend weiße Kapelle hoch oben auf dem Berg im Meer. Es ist ein Traum und viel schöner als auf allen Fotos: Schroffe Felsen, türkisblaues Meer, und wo der Wind und die Strömung die Wellen gegen die Klippen werfen, branden sie weiß und schaumig empor. Meterdicke Mauern, die sich unerschütterlich dem Ansturm des Meeres
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