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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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»Putzmann«; aber als emanzipiertes Kind der Siebziger war ich souverän genug, zur Bezeichnung »Putzfrau« stehen zu können, ohne mich in meiner Männlichkeit eingeschränkt zu fühlen. Außerdem, der Chef der Firma hatte zehn Jahre als Fremdenlegionär gedient, und »Fremdenlegionär« ist auch ein komisches Wort, mich erinnert es immer an Asterix. Aber es beinhaltet eine Erfahrung, die durchaus mit einer Woche Kakadu Nationalpark vergleichbar ist. Jeder geht eben andere Wege zur Mannwerdung.
    Ich war jedenfalls, wie sich herausstellte, eine glänzende Putzfrau. Insbesondere ein Objekt im Münchner Olympiapark hatte es mir angetan, die Treppenhäuser im ehemaligen Olympiadorf. Diese Treppenhäuser waren aus gesundem Vollbeton, der aus Gründen, die sich mir entzogen, offensichtlich seit der Rohbauphase nicht weiter behandelt worden und von Farbe oder Fliesen unberührt war. Ich vermute, es steckte entweder Avantgarde oder eine Art »Ach komm, eh wurst« dahinter. Dort zu wischen war ein bisschen, wie mit einem Besen in der Sahara zu kehren. Also intellektuell nicht unanspruchsvoll. Denn man hat viel Zeit zum Nachdenken. Eine Aufgabe, die kein offensichtliches Ziel verfolgt, hat etwas Rituelles … oder auch etwas so Idiotisches, dass einfach irgendein ganz großer Plan dahinterstecken muss. Das Treppenhaus sah nämlich nach dem Wischen um keinen Deut anders aus als davor. Immer noch grau in grau, und ich bin sicher, auch nach einem Bombenteppich wäre dieses Treppenhaus unverändert grau gewesen. Wenn das Haus nicht irgendwann abgerissen wurde, dann würde dieses Treppenhaus die Äonen überdauern bis ans Ende aller Zeit. Und ich, der ich es einst gewischt habe, wäre Teil der Ewigkeit. Wie man sieht, verschaffen einem Fernreisen eine gewisse Resistenz gegenüber herkömmlichem Denken.
    Und Insichruhen ist ein beeindruckendes Parfüm. Tatsächlich lernte ich nun plötzlich die Frau kennen, auf die ich gewartet hatte. Wollen wir sie Klytämnestra nennen, wegen ihrer späteren Entscheidungen. Schuld an allem war Tom Waits, dessen Kunst sie genau wie ich verehrte. Genauer gesagt die Platte Rain Dogs . Wobei erwähnt werden muss, dass sie den Song »Time« für den Höhepunkt hielt, während mein Herz für immer »Tango Till They’re Sore« gehören würde. Das war natürlich nicht unbedenklich, andererseits stammte sie wie Tom Waits aus den USA. Es könnte sein, dass sie der Grund ist, warum ich es bis heute sexy finde, mit Frauen englisch zu reden. Ich war mehr als hingerissen von unserer Begegnung und habe mich nach den ersten zwei Sätzen verliebt. Es kann auch direkt nach dem ersten gewesen sein.
    Das Sensationellste an dem Ganzen war, es kam genau das zurück, was ich für sie empfand. Eine völlig neue Erfahrung. Bis dahin war entweder ich verliebt in jemand gewesen oder jemand in mich, aber nie beidseitig und nie gleichzeitig. Das war es also, was die anderen meinten, wenn sie ihre Verliebtheiten beschrieben mit den Worten:
    »Das ist, also, das fühlt sich an wie, also das ist der Wahnsinn, weißt du, wenn sie zum Beispiel zu mir kommt oder wenn sie lacht, oder wenn wir uns treffen, der Hammer, da ist so ein Dings, also wir sind einfach, das ist Schicksal, verstehst du?«
    Von diesen spektakulären Entwicklungen beschwingt, putzte ich untertags wie entfesselt. Dem Fertigbeton muss es fast schon wie eine Massage vorgekommen sein, was ich da mit ihm veranstaltete. Und mein Aufgabenbereich begann sich zu erweitern. Bald wurde ich als zuverlässig und begabt genug eingeschätzt, um bei Entrümpelungen mitzuwirken. Natürlich unterliefen mir auch hier erst mal Anfängerfehler. So stellte es sich als nicht förderlich heraus, in Gedanken an Klytämnestra einen üppigen Dachbodeninhalt oben ohne zu entsorgen. Zum einen sah ja niemand meinen vom Treppenfeudeln gestärkten Oberkörper, zum anderen bestand die Hälfte des zu entsorgenden Plunders aus Glasfasermatten. Glasfasern sind so konstruiert, dass sie sich bei Entrümpelungen leicht von den Matten lösen, und sich dann, von einem inneren Magnetismus angetrieben, bevorzugt auf verschwitzter Haut niederlassen, in die sie einzudringen versuchen, um dort neue Glasfasermatten zu bilden. Der Wirtsorganismus, also in dem Fall ich, bemerkt dies durch ein Jucken, das sich bei Kratzen exponentiell verstärkt und vom spontanen Auftreten vieler kleiner roter Punkte begleitet wird. So betrachtet war ich ganz froh, von niemandem beobachtet zu werden. Denn als sich der Staub

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