Und was wirst du, wenn ich gross bin
dem sie ein Zimmer gemietet hatte. Welch beeindruckende Initiative, ich war platt, so etwas hatte noch nie jemand für mich getan. Ich glaube, es hat auch nie wieder jemand getan, und das, obwohl ich bis heute niemandem erzählt habe, was in dem Motel geschah.
Das Kernproblem war, das Motel hatte Pay-TV. Und ich schwöre, ich war nicht derjenige, der es in Betrieb genommen hat. Seit Pensacola hatte ich ein schwieriges Verhältnis zum Fernsehen, und mein Rekord lag mittlerweile bei sieben Spielfilmen innerhalb von 24 Stunden (vom Videothekar notariell beglaubigt). Dazu kam noch die bereits erwähnte unselige Eigenschaft, Filme immer bis zum Ende ansehen zu müssen, egal was gerade passiert. Die Betonung liegt hier tatsächlich auf »egal was«. Das weiß ich seit diesem Abend. Und seither hoffe ich inständig, wenn ich mal Vater werde, setzen die Wehen nicht während eines DVD-Abends ein.
Es war sie, die den Fernseher einschaltete und mit mir begann, Indiana Jones - Jäger des verlorenen Schatzes zu schauen. Ungefähr bei der Szene, wo Indie sich in die Schlangengrube abseilt, geschah es. Sie interessierte sich kaum noch für den Film, dafür zunehmend für mich. Leider konnte ich dieses Interesse nur würdigen, solange ich uneingeschränkte Sicht auf die Glotze hatte, obendrein gab es, weil es Pay-TV war, keine einzige Werbeunterbrechung. Ich versuchte so galant wie möglich auf all die gemeinsamen Abenteuer und Schätze hinzuweisen, die jenseits des Films warteten, aber sie war bereits jenseits der Wiederkehr. Ich wusste, wie unromantisch sich das alles anhören musste, aber ich konnte nichts tun. Es endete in Tränen, gerade als Indie mit dem U-Boot in der Nazihöhle auftauchte.
Sie warf mich noch vor dem Abspann raus, ohne dass es zu sexuellen Handlungen gekommen wäre.
Die Tatsache, dass ich mich schämte, immer noch Jungfrau zu sein, und die große Angst, der selbstbewussten Erotik ihrer Zimmerbuchungsaktion körperlich nicht gerecht werden zu können, hatte sicher nichts damit zu tun. Ganz sicher.
Am Abend vorher hatte sie mir noch erzählt, bevor sie nach Darwin kam, sei sie ein Dreivierteljahr lang in Kalifornien Deadhead gewesen. »Deadhead« waren Anhänger der Band Grateful Dead und reisten von Konzert zu Konzert mit der Band mit. Nicht einfach Groupies, sondern echte Liebhaber der experimentellen Musik, die bei den Konzerten Mikrofone in den eigens dafür abgesperrten Bereich vor der Bühne stellten, um mitzuschneiden, und dann zwischen den Konzerten die Aufnahmen auf Kassette zu hören. Ein gewisses Maß an Liebhaberei zu experimentellen Substanzen gehörte ebenfalls dazu.
Als sie mir davon erzählte, dachte ich, dieses Berufskonzept hätte aus meiner Feder stammen können.
Jedenfalls könnte man doch meinen, wer sogar ein Live-Gitarrensolo von Jerry Garcia unbeschadet übersteht, der hat Geduld für alle Indiana-Jones-Filme am Stück. Aber so kann man sich täuschen. Ein Fernseher ist eben keine Gitarre. Und es wäre außerdem auch unfair, ihr die Schuld an meinem Dachschaden zu geben. Ihre Idee mit dem Liebesnest war schließlich großartig gewesen. Für mich galt es, zu erkennen, was Mos Def in dem Song »Kalifornia« so zutreffend beschreibt: »This is the time, this is the place.«
Nun, es mögen die Zeit und der Ort gewesen sein, aber eben nicht meine. Ich war das Gegenteil eines Jägers und habe trotzdem einen Schatz verloren.
Ich war im Busch kein Crocodile Dundee geworden, ich war im Bett kein Indiana Jones gewesen, wenigstens im Fernsehen konnte ich alles sein. Während man einen Film sieht, kann man unglaublich gut Held sein, außerdem Weiser und Liebhaber.
Im echten Leben war ich zumindest Vater geworden, wenn auch nur Vater einer Jugendherberge und nur für wenige Tage. Als dann die Herberge von einer Wanzenplage überrascht wurde, trat ich ab. Ein letzter Versuch, auf einem Krabbenkutter anzuheuern, um auf die Schnelle Geld zu verdienen, scheiterte, und so flog ich auf Pump nach Bali zu meinem Kumpel. Wenn sich so viele Vorstellungen in Luft auflösen, ist Flucht immer eine Alternative.
Bereits vier Tage nach dem Motelabend saßen mein Kumpel und ich spätnachmittags am balinesischen Ufer, dem berüchtigten Kuta Beach. Im Gegensatz zu Darwin war hier der Verkehr am Strand unerträglich. Alle zwanzig Sekunden kam ein fliegender Händler, Verkäufer, Masseur, Zopfflechter oder Sockenstopfer vorbei. Mir blieb kaum einmal Gelegenheit, den verpassten Chancen angemessen
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