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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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nach der mehrstündigen Arbeit gelegt hatte, sah ich unter der vom Schweiß beeindruckend haltbar gemachten grauen Staub- und Spinnwebschicht aus wie ein schlecht geduschter Bauarbeiter aus dem Pin-up-Kalender der Gesellschaft für Hautekzeme und Schuppenflechten.
    Jede Tätigkeit hat eben ihre Eigenarten, die man erst nach und nach kennenlernt. Ich glaubte mit Entrümpelung vertraut zu sein, weil ich trotz meiner jungen Jahre schon Umzugsprofi war. Zwei Jahre zuvor hatte ich mit einem Kumpel den einen oder anderen Umzug gegen Geld durchgeführt, neben den sämtlichen Umzügen diverser Freundinnen und Freunde. Wir hatten sogar eine Wette laufen, wer die meisten Umzüge über das gesamte Jahr schafft. Ich habe den auf beider Rücken ausgetragenen Wettbewerb mit 26:25 für mich entschieden. Allein aus dieser Erfahrung heraus möchte ich hier kurz innehalten, um ein für alle Mal festzustellen:
    Es kommt nicht auf die Größe an und auch nicht aufs Gewicht. Einzig und allein entscheidend ist die Beschaffenheit der Gegenstände und die Zugänglichkeit der Wohnungen. Das schlimmste anzunehmende Umzugsgut ist ein großes Sofa egal welchen Gewichts, das nur aus Wulsten besteht und deshalb keinen Halt oder Griff bietet, außer mit Torwarthandschuhen, und das durch ein enges Treppenhaus über mehrere Stockwerke nach unten muss (ja, nach unten ist anstrengender als nach oben: Schwerkraft!). Dagegen sind Klaviertransporte Wellnessurlaube.
    Und jeder, der umzieht, sollte ganz selbstverständlich, um die Helfer zu ehren, die drei großen Ps berücksichtigen: Packen, Packen und Packen. Das zu sagen, lag mir besonders am Herzen, denn wenn ich jemals wieder einen Umzug machen muss, bei dem man eintrifft und ein grinsender Trottel begrüßt einen ohne Brezeln und Leberkäse (»Sorry, hab’s nicht mehr geschafft«), mit drei gepackten Kartons, neun Plastiktüten und zahllosen Kleinstgegenständen, die man einzeln »tragen« muss (»Vorsicht, die Kartons sind ein bisschen eingerissen«), um sie dann in seinem Kombi (»Ich dachte, der reicht, da braucht man keinen Bus«) um die zentnerschwere Kommode (»Ich dachte, ich lass die Sachen in den Kommodenschubladen drin, dann braucht man nicht so oft laufen«) herumzupfriemeln, werde ich wirklich böse. Dann werde ich aus allem, was sich händisch zerkleinern lässt, einen Leberkäse backen und dem Verbrecher so lange löffelweise verfüttern, bis der Umzug ein reines Verdauungsproblem geworden ist.
    So wie man es mit mir hätte machen sollen, jedes Mal wenn ich umgezogen bin.
    Aber das nur am Rande und weil es rausmusste.
    Als sich also der Glasfaserausschlag gelegt hatte, habe ich sofort weiterführende Maßnahmen Klytämnestra betreffend eingeleitet. Als Profi (weil ich ein passabler Zuhörer bin, aus Erfahrung lerne und mir Dinge merke) wusste ich: Ich muss sie zu mir einladen. Vor allem weil kein Motel und auch kein Geld für ein solches zur Hand war. Sie war einverstanden. Den Fernseher habe ich vorsorglich vorher ausgesteckt. Und so geschah es, sie kam, und es war ein großartiger erster Abend.
    Ich hatte aus Bangkok eine Kassette von Rain Dogs mitgebracht, die wir drei- bis sechsmal anhörten. Auf der Kassette war ihr Lieblingslied »Time« aus unerfindlichen Gründen zweimal hintereinander aufgenommen, was ihr sofort auffiel; ich hatte es bis dahin einfach für ein sehr sehr langes Lied gehalten. Wir plauderten miteinander, wie es seit alters her zwei junge Menschen tun, die sich zugeneigt sind:
    »Wow!«
    »Hmm?«
    »Die Musik.«
    »Ja.«
    »Genial.«
    »Ja.«
    »Und das nächste Lied …«
    »Hammer, und das übernächste …«
    »Ja.«
    Kurze Gesprächspause.
    »Hey, die Texte!«
    »Das ist Tom!«
    »Ja.«
    »Das könnte ich mir sooo oft anhören.«
    »Ich auch.«
    »Gefällt’s dir?«
    »Ja. Und dir?«
    »Auch.«
    »Cool.«
    »Ja, cool.«
    »Sollen wir’s nochmal anhören?«
    »Klar!«
    »Okay.«
    Nur haben wir uns auf Englisch unterhalten, was das Ganze fast noch ein wenig tiefgehender macht:
    »Wow!«
    »Hmm?«
    »The sound.«
    »Yeah.«
    »Sweet.«
    »Yeah.«
    »And the next track …«
    »Bummer, and the one after …«
    »Yeah.«
    Short Intermission.
    »Man, the lyrics!«
    »That’s Tom!«
    »Yeah.«
    »Dude, I could listen to that, you know, like … always.«
    »Me, too.«
    »You like it?«
    »You bet. And you?«
    »Same.«
    »Cool.«
    »Yeah, cool.«
    »Wanna hear it again?«
    »Sure!«
    »Okay.«
    Mit anderen Worten, das Rohbetontreppenhaus unter den Konversationen,

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