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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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wie die schwarzarbeitenden Angestellten des Hauses.
    Es wäre angebracht zu erwähnen, dass dieses mein Vorhaben in starkem Kontrast zu unserem Aussehen stand. Schulterlange Haare, Nickelbrille, gebatikte Trägershirts und noch ausdrucksstärker gebatikte Hosen, die von Jesuslatschen untermalt wurden, ließen uns im besten Falle wie die Ziehkinder eines westeuropäischen Cannabiskommunenkleinstbarons erscheinen - oder auch einfach nur wie Touristentrottel. Die zwei Tage vorher verwirklichte Idee, mir in Bangkok die Haarpracht in Zöpfe flechten zu lassen, half sicher ebenfalls nicht dabei, unsere Autorität zu untermauern.
    Aber irgendetwas zwischen Amnesty International und spontanem Realitätsverlust ließ mich weitermachen. Ich gab dem Wärter einen großen Geldschein, lächelte und erzählte irgendwas von wegen »anlässlich des Feiertags, eine Spende ans Gefängnis, großartiges Justizsystem …«, in der Hoffnung, er würde uns Einlass gewähren.
    Er blickte mir tief in die Augen, und für einen Moment glaubte ich den Drogenhund in Singapur anschlagen zu hören, so dass ich die Papier- und Obsttüten in Kürze selbst brauchen würde.
    Dann steckte er den Schein - völlig ausdruckslos - in seine Brusttasche, nickte kurz, nahm unsere Tüten und verschwand wieder im Gefängnis. Wir stammelten noch ein paar Worte, von wegen beste Grüße an die Insassen bei Überreichen der Tüten, und machten uns schleunigst vom Acker.
    Ich vermute, spätestens nach der Versteigerung der Tüteninhalte war es für den Wärter ein sehr großer Feiertag, und ich lernte daraus, dass man für eine erfolgreiche Bestechung einfach einen Anzug braucht.
    Mein Kumpel beschloss nach diesem Erlebnis, sich einer mehrtägigen Dschungeltour durch das Bergland anzuschließen. Ich war durch eine Fußverletzung verhindert und blieb in der Herberge.
    »So eine Erfahrung lässt einen doch ernsthaft darüber nachdenken, ob der Konsum von Drogen es wert ist, ›El Presidente‹ von der falschen Gitterseite her zu begegnen. Sicherlich nicht! Und gerade wenn man die Leute nicht gut kennt, die einem was verkaufen wollen … schließlich hört man immer wieder, dass da auch Polizisten mit unter der Decke stecken!« Das sagte ich später nachts zwischen zwei Zügen an einem stattlichen Joint zu meinem israelischen Zimmergenossen, den ich einige Stunden zuvor kennengelernt hatte.
    Er pflichtete mir bei. Wir berauchten gerade unsere vorher ausgetauschten pazifistischen Ansätze für die Lösung des Nahostkonflikts mit einem außergewöhnlichen Gras burmesischer Provenienz.
    Es war ein schöner und vor allem bewegender Abend, mein erster längerer Austausch mit einem Israeli, und wir ließen die deutsche Vergangenheit in unseren Gesprächen nicht aus. Erlebte Versöhnung tat gut nach den Erlebnissen des Tages. Und doch war ich mit mir ein wenig unversöhnt. Ich überlegte im Stillen, welchen Weg ich einschlagen konnte, der auch die Autorität mit sich bringt, Situationen, in denen man mit den »El Presidentes« dieser Welt konfrontiert wird, nicht nur zu überstehen, sondern aktiv zu gestalten. Wie wird man eigentlich Rinderbaron? Und wo? Ich stellte mir meine Wenigkeit im Anzug als Herr über zehntausend Steakträger vor. Und obwohl dieser Gedanke etwas fade schmeckte, war er doch dazu angetan, meinem gegenüber dem Wärter gefühlten Ameisendasein Flügel zu verleihen.
    Dann plötzlich nahm der Israeli - wollen wir ihn Tiresias nennen, wegen der Intensität des folgenden Moments - meine Hände in seine, sah sie sich sehr genau an und erklärte mit einem Ernst, den hier darzustellen mir nicht möglich ist, ich hätte die Hände eines Gitarrenspielers.
     

14
     
    putzfrau
     
    Nachdem ich von den Reisen durch die Ferne zurückgekehrt war, beschäftigte mich natürlich die Frage, wie ich diese außerordentlichen Erlebnisse und Erkenntnisse am sinnhaftesten umsetzen konnte. Wohin mit meiner Naturverbundenheit, mit meiner asiatischen Gelassenheit und mit der Sicherheit, allein in der Wildnis nicht verloren zu sein?
    Diese sehr guten Fragen mussten zunächst zurückgestellt werden, da ich ja wie erwähnt auf Pump unterwegs war und also erst mal Geld rangeschafft werden musste. Das schloss sofortiges Gitarrespielen aus, vom Gitarrelernen ganz zu schweigen. Da ich ja aber auch Erfahrungen mit Autorität gemacht hatte, hatte ich keine Schwierigkeiten, mein erstes Engagement zu finden. Ich wurde Putzfrau für einen Hausmeisterservice. Man könnte auch sagen:

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