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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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nachzusinnen.
    Aber der Sonnenuntergang sah aus wie in einem Film, und man konnte im vorhandenen Meer baden. Einfach so.
     

13
     
    bewährungshelfer
     
    Die Stadt Chiang Mai im Norden Thailands ist in jeder Hinsicht eine Reise wert. Es gibt viel zu bestaunen.
    Ich habe dort beispielsweise lebende Flugameisen gekostet, was wesentlich spektakulärer klingt, als es schmeckte. Tatsächlich schmeckte es relativ fade, selbst mit Zitrone. Aber spektakulär klingen ist ja auch schon was.
    Doch mein Kumpel und ich wollten nicht nur die kulinarischen und sonstigen Sehenswürdigkeiten der Stadt und des Umlands besuchen, sondern als Referenz an das angrenzende »Goldene Dreieck«, eines der weltweit größten Anbaugebiete und gleichzeitig Umschlagplatz von Rauschmitteln aller Art, eine gute Tat vollbringen.
    In den Reiseführern für Rucksacktouristen wird erwähnt, dass sich europäische Häftlinge in asiatischen Ländern sowohl über Besuch freuen als auch über legale Mitbringsel wie Schreibpapier, Stifte und Früchte. Wer einmal in Singapur am Bahnhof ankam und sich fragte, ob er vielleicht unwissentlich ein paar Drogenleckerlis zugesteckt bekommen hat, während er die große Schrifttafel »Death Penalty for Drug Trafficking« (Todesstrafe für Drogenhandel) liest, und anschließend durch einen ein Meter breiten Gang geht, der von Käfigen gesäumt ist, in denen wachsam die Drogenhunde schnüffeln, der hat zumindest ansatzweise Mitgefühl.
    In der Tat sitzen in Chiang Mai und anderen Städten viele arme Tröpfe, die sich von der scheinbaren Lockerheit der sonstigen Sitten zur Dummheit haben verleiten lassen. Natürlich sitzen dort auch viele Tröpfe, die mit scheinbarer Dummheit kaschieren, wie sie ganz locker ihre Armut loswerden wollten. Wir hatten jedenfalls nur Ersteres im Sinn, als wir große Tüten mit Papier, Stiften und Obst füllten und zum Gefängnis zogen. Dort war alles geschlossen. Das ist zwar die Natur eines Gefängnisses, aber in dem Fall war sogar die Pforte zu. Wir haben dann geklingelt, und heraus kam ein Wächter, der, obwohl Asiate, auch genauso gut der ehemalige Bandenführer und jetzige Bürgermeister eines mexikanischen Dorfes hätte sein können. Vom Typ her ein Schweinsgesicht mit Schnauzer und dazu Knopfaugen, die die Wärme einer arktischen Winternacht ausstrahlten. Also irgendwo zwischen »El Presidente« und dem sadistischen Haftwächter in dem Drogenschmuggel-Lehrfilm Midnight Express .
    Wir trugen ihm unser Anliegen vor.
    Er blickte uns einfach nur an.
    Dann trugen wir unser Anliegen nochmals vor, worauf er noch teilnahmsloser blickte, falls das möglich ist.
    Nach dem geschätzt fünften Vortragen unserer Besuchsabsichten -
    »Visit, possible visit, maybe? Visit Prisoner? We have present for prisoner, visit possible?«
    - schüttelte er kaum erkennbar den Kopf.
    Ich überlegte, zu welchem Land er als Diktator passen würde.
    Nach weiteren Bitten schließlich teilte er uns unwirsch mit, dass gerade Feiertag sei, an dem Besuche nicht gestattet seien. Als wir ungelenk fragten, ob es denn Ausnahmen von dieser sicherlich absolut und ohne jeden Zweifel sinnvollen Regel gebe, sah er kurz aus, als wollte er uns mit hereinnehmen und den Besuch als Häftlingstreff gestalten, nur damit wir Ruhe geben.
    Da musste ich spontan an meinen Opa denken, der mal erzählte, ein Mechaniker hätte an seinem Auto Mängel entdeckt; mein Opa war sich sicher, dass das stimmte. Doch meine Oma fragte:
    »Woher willst du denn wissen, ob der nicht nur ein gutes Geschäft machen will?«
    Mein Opa sagte kurz und knapp:
    »Ich hab ihn geschmiert.«
    Damals dachte ich eher an Wurstbrote und habe erst auf Nachfrage zu Hause erklärt bekommen, was Schmiergeld bedeutet: etwas, das in der Geschäftswelt Vorgänge erleichtern und beschleunigen kann. Eine Methode übrigens, die man zu Unrecht hauptsächlich im Ausland vermutet. Doch gibt es zugegebenermaßen erhebliche Unterschiede zwischen bayerischen Mechanikern und thailändischen Gefängniswärtern, zumindest was die Konsequenzen von missverstandener Bestechung betrifft.
    Aber mein Ehrgeiz war geweckt, und nicht zum ersten Mal staunte ich, in welchen Situationen mein Ehrgeiz geweckt wurde, nämlich oft nachdem ich schon vergessen hatte, dass er existiert. Ich wollte groß sein, abgeklärt, so als würde ich auf täglicher Basis Staatsdiener bestechen, weil ich ein Mann von Welt war, irgendwo zwischen Zorro und mexikanischem Rinderbaron, für den Korruption so alltäglich war

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