Und was wirst du, wenn ich gross bin
werden mit uns, und uns dabei irgendwie immer wieder im finst’ren, aber betörenden Wald verliefen, versuchten wir es ein paar Tage miteinander, fuhren aber kurz darauf dummerweise getrennt in Urlaub. Als sie wiederkehrte, war sie wieder mit ihrem Freund liiert, der ihr inzwischen verziehen hatte. Habe ich schon erwähnt, dass Timing nicht zu meinen Stärken gehört?
Ich habe sie nach Jahren noch einmal wiedergesehen, und wenn ihr damaliger Freund nicht nach Hause gekommen wäre, hätte sich die ganze Geschichte wohl wiederholt. Ich würde heute noch nicht meine Hand für mich ins Feuer legen wollen.
Aber der allgemeine Rückenwind dauerte an, ich zahlte meine Schulden zurück und fand, nun sei es an der Zeit, mir den tatsächlichen Beruf, das, was ich bis an mein Lebensende tun würde, auszusuchen.
Als Erstes würde ich studieren, das taten alle, und meine Eltern stellten dafür auch Gelder sowie reichlich Wohlwollen in Aussicht. Viele meiner Kumpel hatten ebenfalls schon damit angefangen. Aber was? Englische Literaturwissenschaften, das traf es noch nicht, dessen war ich mir gewiss, obwohl ich keine einzige Vorlesung besucht hatte oder vielleicht auch genau deshalb. Wieso auch einer Vorlesung über Bücher lauschen, die man bequem zu Hause lesen kann? Eben.
Alles wollte sorgsam durchdacht sein. Was war es, was alle meine bisherigen Aktivitäten gemeinsam hatten, was verband sie? Reiselust, Tiere, Exotik, Geldbedarf, da war so vieles, sogar die Freude am Norden. Folgerichtig schrieb ich mich also zum Wintersemester an der Stirling University in Schottland ein, um dort die Fächerkombination Biologie/Management Science zu studieren. Als Nebenfach wählte ich konsequenterweise Japanisch, wie jedem einleuchten muss, der mir bis hierhin gefolgt ist. Und seit ich zum Abitur meine Facharbeit in Englisch über Whisky verfasst hatte, war mir Schottland ein Bruder im Geiste. Ich würde also nicht nur Zoologe werden, sondern würde auch wissen, wie man das vermarkten kann, bis hin nach Japan, wo man ja bekanntlich Whisky schätzt.
Ein neues Abenteuer stand bevor, ich wurde akademischer Highlander. Und das nur wenige Hundert Meter von der Stelle entfernt, wo Robert the Bruce die Entscheidungsschlacht um die schottische Unabhängigkeit gewonnen hatte. Gleich zu Beginn des Semesters galt es, noch das reichhaltige Freizeitangebot der Uni - in Schottland, wie in England auch, lebt man ja erst mal auf dem Campus - zu nutzen. Für die Freizeitangebote musste man sich bei Semesterbeginn einschreiben. Als Ergänzung zu den gewählten Fächern wurde ich also einziges europäisches Mitglied der »African Society«, einer Vereinigung der in Stirling studierenden Afrikaner und Einwohner der Karibikstaaten. Außerdem trat ich der Unimannschaft für American Football bei. Damit, so hoffte ich, wäre das eine oder andere Interessengebiet abgedeckt und für Abwechslung gesorgt.
Das Gelände der Uni war sensationell, ein direkt am Fuß der Highlands gelegener Park, mit einem See in der Mitte, drei Kneipen, zwei Konzertsälen und Einkaufsgelegenheiten. Auch die Einheimischen waren freundlich, wenn man ihre anfängliche Reserviertheit überwand. Ich erinnere mich noch an den ersten Kontakt mit einem riesigen Schotten, der in einem der Pubs auf mich zutrat und bedrohlich fragte, woher ich denn käme. Auf meine zögerliche Antwort hin, Deutscher zu sein, entspannte er sich, klopfte mir auf die Schulter und meinte, es täte ihm leid, so grimmig dreingeblickt zu haben; er hatte gedacht, ich sei Engländer. Daraufhin bestellte er mir ein Bier.
Diese Begebenheit soll auch die Warnung unterstreichen: Wanderer, kommst du nach Schottland, dann bezeichne niemanden, den du triffst oder nicht verstehst, was bei Schotten durchaus passieren kann, voreilig als Engländer. Tu es einfach nicht! Der Überbegriff »England« wird nur hier in Deutschland als die Zusammenfassung von England, Wales, Nordirland und Schottland verwendet. Nicht mal in England macht man das. Jedes der genannten Völker legt größten Wert auf seine Identität, nicht nur beim Fußball. Und gerade der Schotte neigt dazu, sich nach wie vor als zu Unrecht von den Engländern fremdregiert zu fühlen.
Ich aber fühlte mich sehr schnell wohl, die Stimmung war wie auf einer guten Feier, vielleicht auch weil die meisten anderen direkt von der Schule kamen und das erste Mal von zu Hause weg waren. Es herrschte eine allgemeine Landschulheim-Atmosphäre. Ich tauchte in die Stimmung ein,
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