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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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sowohl akademisch als auch in der Freizeit.
    Meine Begeisterung äußerte sich farbenfroh. Aus Freude darüber, dank der Chemievorlesungen endlich ein altes Trauma überwunden und etwas verstanden zu haben, nämlich das mysteriöse Prinzip vom Mol und Avogadros Zahl, habe ich meinen Laborkittel mit einer großen Comiczeichnung versehen, einer Inschrift wie auf einem Magazincover, die besagte: »The Amazing Moleman vs. The Avogadro Gang«. Ich trug den Kittel so stolz wie das Cape eines Superhelden, und sogar die Professorin musste mir Respekt zollen.
    Von diesem Erfolg übermütig gestimmt, erzählte ich einige Tage später einem Bassisten, dessen Band einen Sänger suchte, meine Stimme wäre so ähnlich wie die von David Bowie. Nachdem ich immer noch nicht Gitarre gelernt hatte, schien das eine vernünftige Alternative, um endlich in die Musikbranche einzusteigen. Ich hatte zwar noch nie gesungen und keine Ahnung, was ich da tat, aber ich hatte Bowie immer schon gemocht, und manchmal muss man ja etwas einfach in den Raum stellen. Danach merkt man dann schon, ob man der Aufgabe gewachsen ist oder auch nicht, wie in meinem Fall. So kann ich mit Stolz behaupten, wegen Unvermögens schon nach drei Wochen aus einer schottischen Studentenpunkband gefeuert worden zu sein. Wenn das keine Poesie im Sinne des Punk ist … dann gibt es vielleicht gar keine.
    Die Band hieß übrigens Tangled Kanga, was so viel bedeutet wie Tangled Kanga. Der Gitarrist war der Bandleader, und sein Lieblingsalbum war Sympathy for the Devil von Laibach, ein epochales Werk, auf dem acht verschiedene Coverversionen von - man vermutet es schon - »Sympathy for the Devil« zu bestaunen sind.
    Ich hoffe, diesen Zeilen ist zu entnehmen, wie sehr einen das Studium auf das Wesentliche fokussieren kann.
    Mein Hunger zu lernen war jetzt gründlich geweckt. Ich freundete mich mit einem Rastafari aus Grenada an, der mir unter anderem beibrachte, dass »Red Stripe« für Rastas das Bier der Wahl ist und dass man die gehäkelte Mütze, unter der die Zöpfe getragen werden, »Crown«, also »Krone«, nennt. In Biologievorlesungen lernte ich, dass die Mitochondrien die Kraftwerke der Zelle sind, aber das wusste ich schon aus der Schule. Management Science und Japanisch stand erst im zweiten Semester an, so dass ich mich auf American Football konzentrierte und darauf, Land und Leute kennenzulernen.
    Beispielsweise den Sohn eines Großgrundbesitzers, den ich mehrfach in den Highlands besuchte, wo ich auch einige sehr fröhliche Abende mit dem Schäfer des Gutes und seiner Frau verbrachte und viel mit den Hütehunden spielte. Da meine Familie väterlicherseits immer aus Schäfern bestanden hatte, lag es mir wohl im Blut, und ich fand die Vorstellung, über Hochmoore und von Heidekraut bewachsene Hügel zu ziehen, sehr ansprechend. Dort lassen sich Eremitentum und akademische Weihen verbinden; und so wohnte zweihundert Meter von den Wohnstätten meines Kumpels und des Schäfers entfernt im Schatten eines Stausees ein siebzigjähriger Schotte, für den der Ausdruck »Kauz« miterfunden worden war. Er war extrem vorsichtig Menschen gegenüber und erinnerte in seinem Gebaren, wenn man ihn nicht kannte, an den schönen Satz von Goscinny »Ich hab nichts gegen Fremde, aber diese Fremden sind nicht von hier«. Wenn er jemanden leiden konnte, dann fertigte er ihm als ultimative Auszeichnung ein Paar Schuhe an. Selbst genähte Schuhe, die so stabil waren, dass sie die Pyramiden überdauern konnten. Dieser Mann war außerdem über Schottlands Grenzen hinaus bekannt als einer der absolut größten Kenner des Werkes von Robert Burns, dem schottischen Nationaldichter, dessen sämtliche Werke er in- und auswendig kannte und über den er als gerngesehener Gast bei Fachtagungen und auf Soireen Vorträge hielt. Und das, ohne jemals Englische Literaturwissenschaften studiert zu haben. Was in seinem Fall allerdings auch an dem Wort »Englische« gelegen haben mag.
    Ich war fasziniert davon, was man alles lernt, wenn man studiert. Auch im American Football lief das Training gut, und ich lernte das Spiel, das ich in Pensacola zu schätzen begonnen hatte, noch intensiver kennen. So ein paar blaue Flecken können Wissen regelrecht zementieren.
    In der Biologievorlesung drangen wir inzwischen in den Zellnukleus ein, was ich ansatzweise auch schon aus der Schule kannte.
    Also wandte ich mich dem Studium der Pubkultur zu. Insbesondere ein Pub auf dem Campus hatte es mir angetan. Maisie’s,

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