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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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dass sie existieren.
    Ich war wie vom Donner gerührt.
    Den Englisch-Unsinn hätte ich ja noch hingenommen. Aber wenn eine gelangweilte Professorengattin, die mit meiner Fotokopiererei ungefähr so viel zu tun hatte wie der Dalai-Lama mit dem päpstlichen Hirtenbrief, fachliche Urteile über mich fällte und mir dazu jemand erzählte, es sei für meine wissenschaftliche Karriere, in der mein Geist glänzen und strahlen sollte, von allerhöchster Bedeutung, im Kasperlkostüm Bratwürste zu grillen, dann legte sich bei mir ein Schalter um. Bei allem Respekt für die Alma Mater, deren Busen mich nährte - aber wenn ich bereit gewesen wäre, so etwas zu tun, wäre ich entweder bei der Bundeswehr geblieben, denn da behauptete zumindest niemand, Geistesgröße helfe der Karriere auf die Sprünge, oder ich würde es gleich richtig konsequent durchziehen und erst mal fünf Jahre Leichen waschen, um dann in irgendeiner Bananenrepublik eine Professur zu kaufen. Beziehungsweise, wo wir gerade dabei sind, legen wir doch gleich noch ein Honorarkonsulat drauf.
    Ich kam mir unendlich verarscht vor. Mein Idealismus, oder was noch davon übrig war, fühlte sich wie ein betrogener Ehemann. Von wegen Hort des Wissens. Von wegen Hochschule. Schule der lobbyistischen Erniedrigung! Werden wir denn an den Universitäten samt und sonders von einer Ansammlung Würstchengriller unterrichtet? Von klein auf hatten meine Eltern mir suggeriert, ein Studium sei gesellschaftlich ehrenwert, an der Universität sei die Wissenschaft König, und sie sei obendrein einer der wenigen Orte, an denen es nicht nur um Kohle gehe. Und dann erkannte ich, dass es dort um Holzkohle geht. Pfui!
    Wie ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens schon eindringlich bewiesen hatte, gab es einiges, was ich wahrlich nicht gut konnte, zu meinem und dem Leidwesen anderer, und nun musste ich feststellen, dass ich in der Zeit seit der Bundeswehr, und vielleicht sogar wegen der Bundeswehr, zu einer echten Niete als Untertan geworden war. Sollte doch was dran sein an der Theorie, dass jede Scheiße für irgendetwas gut ist? (Und ich rede hier nicht von Kläranlagen.) Wie ich hörte, soll sich an der Uni Lüneburg inzwischen vieles geändert haben, aber mein Ehrgeiz war damals ebenso verbrannt wie das zweite Buch der Poetik des Aristoteles.
    Vor dem dadurch eingeläuteten Ende meiner akademischen Laufbahn soll aber doch noch eine positive Note stehen, schon wegen meiner Eltern, schließlich haben sie es mitfinanziert.
    So sei erwähnt, es gab sehr schöne Momente. Beispielsweise ein Referat, das ich bei einem äußerst exzentrischen und vielleicht gerade deshalb glaubwürdigen Professor hielt. Das selbstgewählte Thema war »Der Verfall der Lüge«, mein absoluter Lieblingstext von Oscar Wilde. Oscar Wilde ist wie auch Zenon ein Freund von Paradoxa. Ein Paradox ist ein scheinbarer, manchmal überraschender Widerspruch und im Fall von Wilde ein Satz wie: »Ich habe einen einfachen Geschmack, mir genügt das Beste.« Die Betonung beim Widerspruch liegt aber meiner Ansicht nach auf »scheinbar«. Denn im Auge des Paradoxes liegt eine Wahrheit, die man nicht beschreiben, aber fühlen kann, und die die Welt besser beschreibt, als es Schwarz und Weiß oder irgendeine erdenkliche Abstufung davon können. Im Rahmen des Paradoxes können Worte etwas tun, was sonst nur Musik vermag: Gitarre spielen. Verständlich ausgedrückt, ich glaubte, im Paradox einen Ausweg aus der Schizophrenie gefunden zu haben. Nicht Dr. Jekyll oder Mr. Hyde, sondern beides gleichzeitig. Diese Erkenntnis hat dafür gesorgt, dass meine Beziehung vier Jahre dauerte, die diesbezüglich allesamt sehr schön waren. Paradoxie statt Schizophrenie. Nicht zusammen in einem Zimmer wohnen, wie die ersten zehn Monate, und auch nicht in zwei Zimmern oder Wohnungen getrennt leben, sondern wie in unserem Fall in getrennten Wohnungen zusammenleben. Die getrennten Wohnungen waren aus Kostengründen Zimmer in WG’s, aber das Prinzip blieb gleich und beziehungsfördernd. Und nicht zuletzt die Beziehung war der Grund, warum ich noch ein Weilchen weiterstudierte. Aber deshalb war ich ja auch nach Hamburg gekommen. Der andere Grund, noch ein wenig dabeizubleiben, waren neben dem Bemühen, meinen Ruf als sprunghafter Mensch abzulegen, die Unterbrechungen des Studiums. Ich nutzte die Semesterferien, um weitere Schritte in Richtung meiner wahren Berufung zu unternehmen.
     
 
    Persönliche Anmerkung: Der exzentrische Professor des

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