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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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Wilde-Referats hat ein Buch verfasst, das ich sehr schätze und immer noch besitze. Als ich es Jahre später durchblätterte, stieß ich auch wieder auf die handschriftliche Danksagung seinerseits darin, unter anderem an Gunter Otto. Dieser Name war mir nur Stunden zuvor über den Weg gelaufen, und ich wusste nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Ich recherchierte und fand alsbald heraus, dass er wohl den namhaften Kunstpädagogen Gunter Otto meinte. Ich fand außerdem heraus, dass ich den Namen Gunter Otto direkt davor im Vorspann eines Filmes gelesen hatte, den ich im Rahmen einer gänzlich unakademischen Recherche ansatzweise angesehen hatte. Dabei handelte es sich jedoch um den Regisseur Gunter Otto, der Werke wie Josefine Mutzenbacher und Liebesgrüße aus der Lederhose geschaffen hat. Für die Tatsache, dass ich trotzdem kurz zweifelte, wen der Professor gemeint haben könnte, möchte ich mich entschuldigen, und darauf hinweisen, dass der Grund dafür nicht in seinen Vorlesungen, sondern auf der Festmeile der Jahrestagsfeierlichkeiten der Stadt Lüneburg zu verorten ist. Wenn man einmal den Glauben verloren hat, ist es schwer, zu glauben. Mittlerweile weiß ich natürlich, dass, egal was man macht, Bratwürstegrillen ein Teil jeder beruflichen Realität ist; doch das sollte einen nicht davon abhalten, weiterzuträumen. Im vermuteten Geiste von Oscar Wilde formuliert: Ohne Realität sind wir nur Träume, ohne Träume sind wir Nichts, ohne Nichts sind wir langweilig.
     

21
     
    insektensammler
     
    Wer hätte gedacht, dass ich, ein einziges Mal wenigstens, in Lohn und Brot für eine Einrichtung stehen würde, die meine frühesten Kindheitsfantasien beflügelt hat: das von Konrad Lorenz - einem der großen Tier- und Verhaltensforscherhelden, die nicht Grzimek hießen - gegründete Institut für Verhaltensphysiologie Seewiesen. Ein heiliger Ort für Tierforscher. Hier wurden Dinge herausgefunden, die so verhaltensforscherisch waren wie an kaum einem anderen Ort. Wer weiß, ich hätte schon früher hier landen können, wenn nicht all das passiert wäre, was stattdessen passiert war. Aber die geistige Nähe war nie gewichen.
    Ein Kumpel von mir, wollen wir ihn Melampus nennen, wegen seiner Gabe, die Tiere zu verstehen, war Doktorand an eben jenem Institut Seewiesen, und er unternahm Forschungen im Naturpark Altmühltal, für die er eine Hilfskraft genehmigt bekommen hatte. Aufgrund meiner Erfahrung als ehemaliger Wildhüter fiel seine Wahl naturgemäß auf mich. Und so fuhren wir für eine Woche in eine schlichte Hütte mitten im Wald.
    Morgens um sechs wurde aufgestanden, und dann zogen wir los. Mit Pfeil und Bogen, Seilen und einer großen Tasche. Nun wird sich der aufmerksame Leser fragen, ob er gerade wirklich Pfeil und Bogen gelesen hat und ob das bedeutet, dass er aus Versehen ins falsche Buch geraten ist. Nein, es waren tatsächlich Pfeil und Bogen. Allerdings nicht zum Zwecke der Jagd auf königlich bayerisches Wild, oder um die Schergen des Sheriffs von Nottingham zu bekämpfen, sondern um zu klettern. Denn Melampus hatte eine Vielzahl an Bäumen in großer Höhe mit Insektenfallen bestückt. Die hingen nun dort schon eine Weile, und wir sollten sie einsammeln, damit er die gefangenen Tiere bestimmen und aufgrund von Art und Anzahl ermitteln konnte, wie es um den Wald bestellt war - um die Insekten und überhaupt. Jetzt sind die hohen Bäume dort nicht alle so gewachsen, dass man bequem in Brusthöhe zum Ast greift und sich dann nach oben hangelt. Die ersten Äste finden sich oft erst in einer Höhe von fünf Metern. Deswegen schoss er einen Pfeil mit einer Schnur oben durchs Geäst des Baumes, so dass der Pfeil wieder herunterfiel. Mit der Schnur wurde dann ein Seil oben durchgezogen, und dieses Seil befestigte er an seinem Klettergeschirr und stieg hinauf. Das klingt nach großem Vergnügen, aber leider durfte nur Melampus klettern, da ich nicht gegen Unfälle beim Baumklettern versichert war, keinen Frei- oder Fahrtenkletterschein besaß und der Arbeitgeber nur Geld für eine einzige Versicherung hatte. Aus diesem Grunde habe ich es offiziell auch nie getan, kann aber glücklicherweise trotzdem aus erster Hand berichten, dass es viel Spaß macht und die Aussicht großartig ist.
    Dort oben angekommen, löste Melampus dann die Insektenfallen und ließ sie mir herunter. Die gefangenen Insekten wurden in Alkohol eingelegt; wir leider nicht. Während er wieder herunterkletterte, versuchte ich ihn mit Pfeil

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