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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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mich dafür bezahlt, mich bei Konzerten wichtigzumachen. Da ist der Dienstweg kurz und die Aussicht großartig. Ich sage nur: Backstagepass! Triple-A, wie es der Fachmann nennt. AAA, das heißt Access All Areas, zu Deutsch: Überall, wo man hinwill, als Normalsterblicher aber nicht hindarf. Hinter die Kulissen.
    Während die Chancen dafür im Verlauf der ersten Stunden zunehmend schrumpften, nahm die Erkenntnis zu, dass diese Tätigkeit tatsächlich sehr viel mit Arbeit zu tun hat. Nach einer Einführung, bei der mir der Kopf rauchte ob all der technischen Fachbegriffe, ging es direkt ans Werk: Um- und Aufräumen des Techniklagers. Anschließend waren wir mehrwöchig innerhalb der Stadt auf Tour, mit einem Zirkuszelt, das auf- und abgebaut werden musste und befüllt wurde mit Bestuhlung, Tonanlage (oder PA, wie wir Roadies das nennen) sowie dem Licht, bestehend aus dem Rigg und den Kannen. Also dem Gerüst und den Lampen, die man wohl so nennt, weil sie daran gemahnen, dass man sich im Umgang mit ihnen nicht die Kanne geben oder sich einen auf die Lampe gießen kann, da sie in drei bis fünf Metern Höhe hängen. Anders, wenn man fünf Jahre Tourbegleiter von Whitesnake war, dann durfte man alles betrunken erledigen. Mit anderen Worten, es gab enorm viel zu tun, bevor man die Show dann »fahren«, also die Regler an den Licht- und Tonpulten bedienen durfte.
    Die Programmauswahl dieser Stadtteil-Tour bestand leider nicht direkt aus Rock’n’ Roll. Es begann meist nachmittags mit Kasperletheater, dann folgten kürzere Stücke verschiedenster Laienensembles und am Abend Kleinkunstkonzerte von Gruppierungen, die fast ausschließlich aus Menschen in Latzhosen mit viel Sendungsbewusstsein für die und gegenüber der Dritten Welt bestanden. Menschen, die diese Einstellung nicht nur besangen, sondern auch durch die Wahl der Kleidung und, was noch eindrucksvoller war, die Wahl ihrer Instrumente zum Ausdruck brachten. Gut gemeinte exotische Instrumente klingen nicht immer schön. Nun, jedem das seine. Schade war allerdings, dass ich mir doch erhofft hatte, trotz meiner Beziehung in Hamburg vielleicht auch mal Erfahrungen mit Groupies zu sammeln, diese aber den Veranstaltungen fernblieben. Man muss wohl eher Begleiter von den Rolling Stones sein, damit sie kommen. Die Schnittmenge der Darsteller und Musiker oben genannter Provenienz mit der Gruppe der Groupies ist, wenn überhaupt, nur rechnerisch nachweisbar, aber keinesfalls angewandt. Folglich ist die Zahl derer, die mit dem Aufbauhelfer von Kleinkunstgruppen schlafen wollen, um an den Ziehharmonikaspieler oder den Xylophonisten ranzukommen, praktisch nicht existent. Das lag unter anderem daran, dass die Anhänger dieser musikalischen Bemühungen, die ihrerseits in der Mehrheit belatzhost waren, und das wahrscheinlich seit der Friedenskette in Ulm, nach den Vorstellungen lieber noch über das Gehörte diskutierten. Wobei die Art der Diskussion, zumindest in meinem Fall, eine extrem triebhemmende Wirkung entfaltete, neben der latenten Sehnsucht, bei einem Motörheadkonzert in der ersten Reihe zu stehen und barbusigen Frauen unter Jacky-Coke-Einfluss Obszönitäten zuzubrüllen.
    Was meine Bereitschaft zum Groupieerlebnis betraf, möchte ich noch anmerken, ich bin eigentlich ein treuer Mensch, aber die Beziehung kriselte gerade, und Roadie zu sein ist ja ein wenig wie die Seefahrt, bei der in fremden Häfen auch mal Dinge passieren können, über die man besser liebevoll den Mantel des Schweigens breitet.
    Als die Städtetour beendet war, begann der zweite Teil der Arbeit, der schon mehr in Richtung des Erhofften ging. Zumindest was die Arbeit betraf. Eine größere Seebühne wurde mit Technik bestückt und einen Monat lang betrieben. Ich war von der Größe der Anlage sowie der Höhe und Anzahl der Beleuchtungsmaßnahmen sehr angetan, kam ich mir doch wie ein Kollege der Roadies großer Bands vor, wenn ich in mehreren Metern Höhe Spots einstellte oder auch nur scheinbar wichtig herumhantierte. Einmal habe ich mich weit in das übers Rigg hinausragende Kuppeldach gewagt, vor den Augen vieler beeindruckter Zuschauer. Doch Hochmut ist kein guter Ratgeber, wenn auch in diesem Fall kein Fall folgte. Als ich mit verschwitzten Händen bei einem Steilheitsgrad von über zehn Prozent, also einem Überhang, in acht Metern Höhe baumelte, habe ich festgestellt, dass in mir auch Höhenangst als mögliche Veranlagung schlummert. Ich habe fast zehn Minuten gebraucht, um wieder in das

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